Der letzte Beweis
Es ist Kismet. Schicksal. Dharma.
Ich stolpere aus dem Saal, und kaum bin ich wieder an meinem Schreibtisch, greife ich zum Handy. Ich spreche ihr eine Nachricht auf die Mailbox und sage, dass ich nach Feierabend direkt zu ihrer Wohnung gehe und, wenn's sein muss, die ganze Nacht davor sitzen bleibe, bis sie mir Auge in Auge sagt, was sie will.
Und genau das tue ich auch.
Als sie nach Hause kommt, sitze ich auf der Eingangsstufe vor dem alten Gebäude. Ich wäre wirklich die ganze Nacht dort geblieben, aber tatsächlich bin ich erst fünfzehn Minuten da. Und sie setzt sich neben mich, sie legt ihren Arm auf meinen, sie legt ihren Kopf an meine Schulter, und wir weinen, wir weinen beide, und dann gehen wir rein. So einfach ist das. Lasst es euch von einem ehemaligen Philosophiestudenten gesagt sein. Jeder Mensch sehnt sich danach, das einmal sagen zu können: Das ist der glücklichste Moment meines Lebens.
Rustys Geburtstag 19.03.2007 - Barbaras Tod 29.09.2008 - Die Wahl 04.11.2008
Kapitel 18
Tommy, 31. Oktober 2008
Das Polizeipräsidium war seit 1921 in der McGrath Hall untergebracht. Der rote Koloss mit Steinbögen über massiven Eichentüren und umlaufenden Zinnen auf dem Dach konnte glatt als mittelalterliche Festung durchgehen.
Brand, der noch immer in der Verhandlung war, hatte aus dem Gericht eine Nachricht über die Straße geschickt und Tommy gebeten, sich um halb eins mit ihm vor dem Bezirksgebäude zu treffen, und der Mercedes hatte am Straßenrand gehalten und war so schnell wieder weitergefahren, dass es aussah wie eine Flucht. Brand schlängelte sich durch den Mittagsverkehr, als wäre er auf Koks. Tommy bekam einen Anruf vom FBI, und als er ihn beendete und wieder mit seinem Ersten Staatsanwalt sprechen konnte, waren sie schon durch das Sicherheitstor gefahren und parkten hinter dem Präsidium. »Warum sind wir hier?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, sagte Brand. »Nicht genau. Aber an dem Tag, als Rusty anrief, um Barbaras Tod zu melden, hat die Polizei von Nearing sämtliche Packungen aus Barbaras Arzneischrank einfach in einen Plastikbeutel geworfen, anstatt gleich vor Ort Inventur zu machen. Also hab ich die Sachen am Mittwoch von Rory herschicken lassen, damit Dickerman sie mal unter die Lupe nimmt.«
»Okay, gute Idee «, sagte Tommy.
»Rorys Idee, um ehrlich zu sein.«
»Trotzdem eine gute Idee. Und was hat Dickerman rausgefunden?«
»Du stellst ganz schön schwere Fragen. Mo hat mir eine Nachricht hinterlassen, dass er ein paar interessante Ergebnisse hat. Er würde nicht >interessant< sagen, wenn es nichts wäre, aber ich konnte nicht nachfragen, weil ich den ganzen Tag im Gericht war. Trotzdem, ich wollte nicht, dass er irgendwas schriftlich macht. Das würde in dreißig Sekunden die Runde machen.«
»Schon wieder eine gute Idee«, sagte Molto.
Brand erklärte, dass sie zum Präsidium kommen mussten, weil Mo letzte Woche eine Kniegelenkoperation hatte und kaum laufen konnte. Jim fand es besser, wenn Tommy dabei war, um alles fragen zu können, was er wissen wollte. Auch das war keine schlechte Idee.
Eine von Mos Assistentinnen erwartete sie im Erdgeschoss an einer Hintertür. Sie trug einen Hexenhut aus Krepp und eine schwarze Zottelperücke.
»Süßes oder Saures«, sagte sie.
»Sehr schön«, sagte Brand. »Das frag ich mich auch jeden Morgen.«
Gemeinsam gingen sie über düstere Flure und betraten Mo Dickermans Reich. Mo Dickerman, alias der Fingerabdruckgott, war mit zweiundsiebzig der älteste Mitarbeiter der Polizei von Kindle County und unangefochten auch der angesehenste. Er war der führende Fingerabdruckexperte im Mittleren Westen, Autor einiger maßgeblicher Veröffentlichungen über verschiedene Techniken und häufiger Redner in Polizeiakademien rund um den Globus. Jetzt, da die Forensik im Fernsehen groß in Mode war, konnte man kaum einen Sender einschalten, ohne Mo in irgendeiner Dokushow über Verbrechensbekämpfung zu sehen, wie er seine große, schwarz gerahmte Brille wieder höher auf die Nase schob. In einem Department, das wie die meisten Polizeibehörden ständig in Kontroversen und oftmals auch Skandale verstrickt war, blieb Mo das einsame Symbol uneingeschränkter Ehrbarkeit.
Außerdem war er oft eine Nervensäge. Der Spitzname Fingerabdruckgott war nicht nur bewundernd gemeint. Mo hielt seine eigenen Expertisen für gleichbedeutend mit der Heiligen Schrift und duldete noch nicht mal eine Unterbrechung. Machte jemand den Fehler,
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