Der letzte Beweis
»Geständnisse einer überteuerten Sklavin.«
»Steht dir sehr gut.«
Mein Kompliment lässt sie verstummen. Schließlich sagt sie leise: »Danke.«
»Was trinkst du?«, frage ich.
»Mineralwasser. Ich muss im Büro noch was fertig machen.«
Mein Herz wird schwer: Sie will zurück ins Büro. Ich sage nichts. Sie schiebt ihre Handtasche in die Lücke zwischen uns.
»Rusty, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Also sag ich es am besten ganz direkt. Ich will versuchen, es dir zu erklären. Aber die Sache ist die, dass ich mit Nat zusammen bin. Ich meine, noch nicht, aber so gut wie. Ich treffe mich heute mit ihm. Und ich weiß nicht, was daraus wird, aber es ist schon ziemlich ernst. Es ist schon sehr ernst.«
»Mein Nat?«, entfährt es mir. Einen Moment lang ist alles in mir empfindungslos. Und was dann in mir hochkocht, ist Wut. Sie schäumt aus meinem Herzen. »Das ist Wahnsinn.«
Anna sieht mich an, und ihre grünen Augen werden feucht.
»Rusty, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich versucht habe, das zu vermeiden.«
»Himmelherrgott. Worauf willst du's denn schieben? Schicksal? Bestimmung? Du bist ein erwachsener Mensch. Du triffst Entscheidungen.«
»Rusty, ich glaube, ich liebe ihn. Und dass er mich liebt.«
»O Gott!«
Anna weint jetzt und drückt sich das kühle Glas an die Wange.
»Hör mal, Anna, ich weiß, du willst es mir heimzahlen. Ich weiß, ich hab dich enttäuscht. Ich weiß, dass Liebe keine Regeln kennt. Diesen Schwachsinn hab ich schon gehört. Aber das ist unmöglich. Und du musst damit aufhören.«
»Ach, Rusty«, schluchzt sie. »Rusty, ich hab alles versucht. Ich hab mich einwandfrei benommen. Ich wünschte, du würdest das verstehen. Ich hab ehrlich alles versucht, damit das nicht passiert.«
Ich will nachdenken. Aber das hier hat eine Dimension, die mich schwindeln lässt. Und ich spüre, dass mir die Arme und Hände vor Wut zittern.
»Weiß er Bescheid? Über uns?«
»Natürlich nicht. Und er wird es nie erfahren. Niemals. Rusty, ich weiß, es ist verrückt und schwer, aber ich muss es versuchen, weißt du, ich muss es wirklich versuchen. Ich weiß nicht, ob ich damit klarkomme oder ob du damit klarkommst, aber ich muss es versuchen, ich weiß, ich muss es versuchen.«
Ich werfe mich auf meinem Platz nach hinten. Ich habe schon die ganze Zeit Mühe zu atmen.
»Weißt du, wie oft ich mich nach dir gesehnt habe und nichts unternommen habe?«, frage ich sie. »Mich gezwungen habe, nichts zu unternehmen? Und jetzt? Soll ich jetzt zusehen, wie du durch mein Haus tänzelst? Das ist krank. Wie konntest du mir das antun? Und ihm? Herrgott noch mal.«
»Rusty, du willst mich doch nicht.«
»Sag du mir nicht, was ich will.« Ich bin noch immer so zornig, ich könnte sie ohrfeigen. »Ich weiß, was du vorhast, Anna. Komm mir bloß nicht mit Aufrichtigkeit. Du ziehst die Daumenschrauben an, und zwar auf die mieseste nur denkbare Art. Und was soll ich jetzt tun? Mich auf der Stelle von Barbara trennen? Willst du das? Ich trenn mich von ihr, oder du zerstörst buchstäblich meine Familie?«
»Rusty, nein. Es geht nicht um dich. Es geht um ihn. Das will ich dir doch die ganze Zeit sagen. Es geht um ihn. Rusty, Rusty -« Dann stockt sie. »Rusty, ich hab so etwas noch nie empfunden, bei« - sie gerät ins Stammeln -, »bei niemandem. Ich meine, vielleicht würde ich in irgendeiner psychiatrischen Fachzeitschrift eine gute Fallstudie abgeben. Weil ich nicht weiß, ob es auch ohne uns passiert wäre. Ohne das, was zwischen uns war. Aber es ist anders, Rusty. Es ist wirklich anders. Rusty, bitte, lass uns.«
»Du hast sie nicht mehr alle. Du bist verrückt, Anna. Du weißt nicht, was du willst. Oder wen du willst. Du hast völlig recht mit der psychiatrischen Fachzeitschrift.«
Ich werfe Geld auf den Tisch und höre noch einen unterdrückten Aufschrei hinter mir, als ich aus dem Hotel fege und empört die Straße hinunterstürme. Ich koche innerlich auf die älteste und ursprünglichste Art. Ich laufe mehrere Blocks weit. Dann bleibe ich plötzlich stehen.
Denn eines ist klar. Ganz gleich wie wütend ich bin, ich muss etwas tun. Ich muss. Es gibt keinen klaren Weg. Ich werde nachdenken und nachdenken, und nichts wird richtig sein. Aber ich muss etwas tun. Und der Gedanke daran erscheint mir ebenso groß wie Gott. Was soll ich tun?
Rustys Geburtstag 19.03.2007 - Barbaras Tod 29.09.2008 - Die Wahl 04.11.2008
Kapitel 17
Nat, 2. September 2008
Meiner Meinung
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