Der letzte Bissen
bestimmt war. Der Verdacht hatte sich damals nicht bestätigt. In den konfiszierten Dosen hatte man das schon vor vielen Jahren von der Industrie entwickelte Fett- und Eiweißgemenge gefunden, dessen beigemischte Aromastoffe die Geschmacks- und Geruchsnerven fleischgewöhnter Haustiere täuschen sollten.
Sarah sah, dass Boris Wollweber gemeinsam mit einem älteren Mann aus dem Pförtnerhäuschen trat und einen Plan zusammenfaltete.
Es würde nicht lange dauern, bis Wollweber erfuhr, dass sie nicht den Weg durch die Kanalisation genommen hatte. Sie musste schnellstens hier weg.
Ein Transporter verließ den Hof und Sarah registrierte, dass der Wagen sehr dicht an dem Flachdachbau vorbeifuhr. Sarah warf einen sichernden Blick in alle Richtungen und öffnete das Fenster. Die Zufahrtsstraße führte direkt an dem Gebäude vorbei, in dem sie sich befand. Mit etwas Glück könnte sie es schaffen...
Sie beobachtete, wie der Fahrer eines Pritschenwagens die Ladefläche verriegelte und die Plane festzurrte. Per Handschlag verabschiedete er sich von einem Gabelstaplerfahrer und kletterte anschließend ins Führerhaus. Sekunden später manövrierte er den Wagen rückwärts aus der Parklücke.
Sarah entsicherte die Waffe und klemmte sie hinten in den Bund ihrer Jeans. Sie hockte sich auf das Fensterbrett und glich einer Löwin, die zum Sprung auf die ahnungslose Beute ansetzt.
Der Wagen näherte sich, der Fahrer schaltete in den zweiten Gang. Sarah stieß sich ab und segelte durch die Luft. Der Aufprall war härter, als sie erwartet hatte. Das Tuch war stramm gespannt und sie knallte mit der Brust auf eine Verstrebung, ihre Atmung geriet ins Stocken. Die Pistole machte sich selbstständig, rutschte über die Plane und fiel zu Boden, als der Fahrer die erste Kurve nahm.
Sarah wälzte sich auf den Rücken und schnappte nach Sauerstoff. Sie sah kleine bunte Punkte, ihre Ohren dröhnten.
Der Fahrer musste am Tor halten, der Pritschenwagen wurde kontrolliert. Sarah erwartete jeden Moment, dass jemand auf das Dach schaute, aber nichts dergleichen passierte. Der Wagen fuhr weiter, und zwar in einem Tempo, als habe der Fahrer die Absicht, als Schumacher der Brummi-Fahrer in die Geschichte einzugehen. Sarah schob sich Zentimeter für Zentimeter bis zur vorderen Kante vor und hielt sich an der Verstrebung fest. Sie betete, dass sich keine Situation ergab, die eine Vollbremsung erforderte.
Sarahs Gebete wurden erhört. Ohne Komplikationen erreichte der Pritschenwagen den Stadtrand von Berlin. Sie näherten sich einer Ampel, die auf Rot sprang. Der Fahrer verringerte das Tempo und rollte langsam an die Kreuzung heran. Sarah kroch auf allen vieren zum hinteren Ende des Dachs. Die Fahrerin eines Sportwagens nutzte die Rotphase der Ampel, um sich die Lippen nachzuziehen. Als sie bemerkte, wie vor ihr eine Frau vom Dach des Wagens kletterte, bekam sie große Augen.
Unaufgefordert stieg die Frau ein und lächelte sie an. »Fahren Sie in die Innenstadt?«
Die Sportwagenfahrerin brachte nur ein Kopfnicken zu Stande.
»Danke, dass Sie mich mitnehmen. Ich heiße Sarah. Sie haben nicht zufällig ein Handy?«
51.
Sarahs Anruf erreichte Bastian in dem Moment, als er vor dem Kassenhäuschen des Museums für gesunde Ernährung stand. Er fühlte, wie eine Zentnerlast von ihm abfiel, als er hörte, dass es Sarah gut ging.
Sie verabredeten sich zu einem ausführlichen Bericht in Eberweins Büro. Doch vorher hatte Bastian noch ein anderes Date.
Das Museum für gesunde Ernährung wurde im Volksmund allgemein nur das Fleischmuseum genannt. Es bot eine Übersicht über Küchenkultur und Ernährung in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte. Das Museum war vor zwei Jahren vom Kulturstaatssekretär, einem überzeugten Lacto-Vegetarier, eröffnet worden. Lacto-Vegetarier aßen im Vergleich zu den Ovo-Lacto-Vegetariern auch keine Eier. Die Kanzlerin gehörte zur Fraktion der Veganer, die sich ausschließlich von pflanzlichen Produkten ernährten. Zuvor hatte sie mit den Pesci-Vegetariern sympathisiert und war rechtzeitig umgeschwenkt, als auch der Verzehr von Fischen immer mehr geächtet wurde.
Besonders beliebt bei den Besuchern des Museums war die Abteilung, die sich mit dem Fleischkonsum im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert beschäftigte. Zu bewundern waren Nachbildungen von Poulardenstelzen und Rindsrouladen, Wiener Schnitzeln und Chickenwings, Froschschenkeln und Lammhaxen, Gyrosspieße und Metzgerutensilien, Rezeptbücher und
Weitere Kostenlose Bücher