Der letzte Bissen
Du bist seit sechs Jahren Vegetarier. Ich erinnere mich noch gut, wie du bei einem Rinderbratenessen in unserer WG verkündet hast, dass dies dein letztes Stück Fleisch sei.«
»Heroindealer sind auch clean.«
»Was ist mit Anwalt Harder?«, fragte Jungclausen, immer noch ungläubig.
»Ein guter Mann. Für Geld machte der alles. Schon Werner hat mit ihm zusammengearbeitet. In der letzten Zeit wurde Harder allerdings ein bisschen zu neugierig. Es wurde an der Zeit, sich von ihm zu trennen.«
Die Kellnerin kam und räumte den Teller ab.
Jungclausen richtete sich in seinem Stuhl auf. Das spöttische Grinsen, mit dem er Eberweins Ausführungen begleitet hatte, war aus seinem Gesicht verschwunden. »Wenn ich das alles richtig verstanden habe, hast du mir gerade gesagt, dass du der Bergmann bist!«
Eberwein nickte.
»Und warum hast du mir das erzählt?«
»Weil du mein Freund bist.«
»Ich bin seit acht Jahren dein Freund.«
»Es hat sich vorher nicht ergeben.« Eberwein trank sein Weinglas leer. »Außerdem war ich mir nicht sicher, wie du reagieren würdest.«
»Wie sollte ich denn - deiner Meinung nach - reagieren?«
»Verhalten, aber positiv.«
Jungclausen war fassungslos. »Ich bin ein hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker, karrierebewusst, egoistisch und ein bisschen korrupt. Ich bin mit mir im Reinen. Ich habe nicht das Zeug dazu und auch nicht die Nerven, Verbrecher zu werden.«
»Politiker, die Wasser predigen und Wein saufen, sind Verbrecher.«
»Du redest dir deine Welt schön!«
»Sie ist schön. Soll ich dir meine Kontoauszüge zeigen?« Jungclausen schnaufte. »Mensch, Bruno. Wo sind deine Ideale geblieben?«
»Ideale sind das Größte und Wertvollste im Leben, außer wenn man versucht, danach zu leben.« Eberwein steckte die DVD ein, die die ganze Zeit auf dem Tisch zwischen den beiden Männern gelegen hatte. »Wie entscheidest du dich? Brauchst du Bedenkzeit?«
»Ich brauche keine Bedenkzeit. Meine Antwort ist Nein!« Eberwein holte tief Luft. »Schade. Wir beide zusammen wären unschlagbar gewesen.«
»Was hast du jetzt mit mir vor? Jetzt, wo ich dein Geheimnis kenne?«
»Hast du Angst?«
Jungclausen schüttelte den Kopf. »Nein. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass du mich umbringen wirst.« Er stand auf und legte einen Fünfzig-Euro-Schein neben sein Glas.
Eberwein schob ihm den Schein wieder zu. »Du bist eingeladen.«
Jungclausen ließ seine Hand, wo sie war. »Tut mir leid, aber ich kann das nicht mehr annehmen. Leb wohl, Bruno.«
Ohne den Staatssekretär eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ Jungclausen das Restaurant.
Die Kellnerin brachte Eberwein das Hauptgericht. »Ist Ihr Freund schon gegangen oder kommt er nochmal zurück?«
»Er kommt nicht mehr zurück.«
Eberwein zog sein Handy hervor, rief das SMS-Programm auf und schickte seinem besten Mann eine Kurznachricht. Dann ließ er sich das Gemüse mit Seetang und gemischtem Getreide schmecken.
68.
Sarah hatte in der kurzen Nacht kein Auge zugetan. Sie hatte sich von einer Seite auf die andere gewälzt, es mit autogenem Training versucht, einer kalten Dusche und mit einem sündhaft teuren Whisky aus der Minibar, aber der Schlaf wollte nicht kommen.
Sie hatte zunächst darüber nachgedacht, ob das mit der Liebe überhaupt je hinhauen könnte. War das schon Torschlusspanik, das Ticken der biologischen Uhr? Sie hatte gelesen, dass die Fruchtbarkeit bei Frauen nicht mit vierzig, sondern schon mit zweiunddreißig rapide abnahm, damit war sie schon drei Jahre im Minus. Wollte sie wirklich eine Familie gründen, Kinder haben? Würde Mr. Right noch kommen oder musste sie Kompromisse machen? Konnte sie sich vorstellen, mit jemandem zusammenzuleben, den sie nur ein bisschen liebte, und Kinder zu haben, nur um im Alter nicht allein zu sein? Oder sollte sie es darauf ankommen lassen und es riskieren, dass sie mit fünfundsechzig auf der Badematte ausrutschte und nach einem Jahr mumifiziert vom Hausmeister gefunden wurde, weil im Haus ein Wasserschaden aufgetreten war?
Als der Tag anbrach, ließ sie die Männer in ihrem Leben Revue passieren. Damit war an Schlaf gar nicht mehr zu denken.
Um kurz nach sieben war sie aufgestanden, hatte erneut geduscht und sich angezogen. Anschließend setzte sie sich in den Frühstücksraum und löffelte ein Früchtemüsli. Nach drei Tassen schwarzem Kaffee fühlte sie sich wach und gewappnet.
Sie nahm ein Taxi. Der Fahrer war iranischer Herkunft und offenbar davon
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