Der letzte Bissen
überzeugt, dass persische Volksmusik auch deutsche Ohren erfreuen würde. Sarah bat ihn, die Kassette ab- und das Radio anzustellen.
Die Acht-Uhr-Nachrichten meldeten, dass die Kanzlerin für den frühen Nachmittag eine Pressekonferenz einberufen hatte, möglicherweise ging es erneut um die verschlechterten Beziehungen zu Russland. Der Gewitterregen am Vortag hatte zu Überschwemmungen in Norddeutschland geführt, zahlreiche Keller standen unter Wasser. Dem organisierten Verbrechen war ein schwerer Schlag versetzt worden, bei einer Schießerei vor den Toren Berlins hatte es mehrere Tote gegeben. Außerdem wurde die Ermordung von Jungclausen, einem engen Mitarbeiter des Innenministers, gemeldet.
Sarah ließ die News an sich vorbeirauschen, sie war gedanklich damit beschäftigt, die nächsten Stunden zu planen.
Der Taxifahrer setzte sie vor dem Präsidium ab.
Böckels Zimmertür war verschlossen, aber sie wusste, wo er einen Reserveschlüssel aufbewahrte.
Sie durchsuchte seinen Schreibtisch und versuchte vergeblich, das Passwort seines Computers zu knacken. Also setzte sie sich auf den Platz gegenüber und malte Strichmännchen auf einen Notizblock.
Um kurz vor neun kam Böckel herein. Er schien über Sarahs Anwesenheit nicht sonderlich erstaunt zu sein.
»Guten Morgen! So früh schon auf den Beinen?«
»Ich habe heute noch viel vor.«
Böckel ließ sich an seinem Schreibtisch nieder und verstaute sein Pausenbrot in einer Schublade. »Du hättest vorher anrufen sollen. Ich habe nichts Neues für dich.«
Sarah zog das Foto aus ihrer Handtasche. »Diesmal habe ich die Neuigkeiten.«
Sie warf ihm das Bild zu und schaute ihm ins Gesicht.
Böckel schluckte, als er sich auf dem Foto erkannte. Seine Wangen wurden so rot wie Liebischs Staudentomaten.
»Warum?«, fragte Sarah.
Böckel vermied es, Sarah in die Augen zu sehen. Er starrte auf das Foto, als könnte sein Blick es auslöschen.
»Aus Rache? Das kann ich mir nicht vorstellen, ich habe dir nichts getan. Aus Karrieregründen? Meine Planstelle hättest du ohnehin nicht bekommen, Petersen war vor dir dran. Also: Warum?«
»Ich weiß es nicht mehr«, sagte er mit leiser Stimme.
»Du weißt es nicht mehr!«, entfuhr es Sarah. »Du ruinierst mein Leben und du weißt nicht mehr, warum?!«
Böckel schaute auf die Unterlage seines Schreibtischs, als habe er dort die Gründe notiert. »Es war einfach die Gelegenheit. Als man mir das Fleisch anbot, habe ich an dich gedacht. An deinen Gesinnungsterror, an deine Überheblichkeit. Der müsste man mal eins auswischen, einen Denkzettel verpassen, habe ich gedacht.«
»Der Spaß hat dich eine Menge Geld und mich meinen Job gekostet!«
»Das habe ich nicht gewollt.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Und dann diese perfide Mitleidsnummer. Ich habe tatsächlich geglaubt, du würdest mir helfen wollen. Wie ist das mit Froese gelaufen?«
»Ich habe ihn zu fassen gekriegt, bevor die Internen mit der Vernehmung begannen. Ich habe ihm versprochen, dass wir ihn laufen lassen, wenn er aussagt, dass er dir das Zeug verkauft hat, und habe ihm ein Foto von dir gezeigt.« Böckel schaute auf. »Ich dachte, du bekommst eine Abmahnung, und das war’s.«
Sarah nahm ihm das Foto wieder ab. »Was bist du nur für ein Mensch!«
Sie ging zur Tür.
»Was soll ich denn jetzt machen?«, jammerte Böckel.
Sarah ließ ihn mit der Frage allein. Sie hatte gehofft, dass ihre Wut nach einer Aussprache verraucht sein würde, aber das Gegenteil war der Fall. Sie war zorniger denn je.
Hinrichs kam ihr entgegen. Er bemühte sich um ein Lächeln. »Schön, dass ich Sie treffe. Ich habe gute Nachrichten für Sie.«
»Sie sind noch nicht dran!«, schnauzte Sarah, ließ den verblüfften Hinrichs stehen und nahm den Aufzug. Der iranische Taxifahrer wartete auf der anderen Straßenseite auf seine nächste Tour und war überrascht, dass Sarah erneut seine Kundin wurde.
»Machen Sie die Musik aus und bringen Sie mich zur Galerie Suhrkamp in der Knesebeckstraße.«
Die Galerie war noch geschlossen, darauf hatte Sarah spekuliert. Sie kramte den Schlüssel hervor und schloss auf. Zielgerichtet ging sie zu einem Schrank mit vielen Schubladen, in dem Imogen seine Skizzen und Entwürfe aufbewahrte. Nach fünf Minuten hatte sie gefunden, wonach sie suchte. Eine Bleistiftskizze, die Imogen von ihr zu Beginn ihrer Beziehung gemacht hatte. Sie würde ihr als Erinnerung an Imogen reichen.
Sie verließ die Galerie und warf den Schlüssel in den
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