Der Letzte Bus Nach Woodstock
Verkehrsbetriebe schob sich langsam von Haltestelle zu Haltestelle näher, und sie nahm ihre Einkaufstasche auf. Nicht lange, und die großen Buchstaben über der Frontscheibe waren zu erkennen. Was stand dort? Sie kniff die Augen zusammen: WOODSTOCK. Ach Gott, da hatte sie eben dem Mädchen, das sich so höflich nach dem nächsten Bus erkundigt hatte, eine falsche Auskunft gegeben. Aber wohl nur halb so schlimm. Vermutlich saßen sie jetzt bereits in einem Auto. Falls nicht, so würden sie den Bus sehen und an der nächsten oder übernächsten Haltestelle zusteigen. ›Wie lange waren die beiden weg, als der Bus kam, Mrs. Jarman?‹
Sie trat einen Schritt zurück, und der Bus nach Woodstock fuhr ohne zu halten durch. Er war kaum außer Sicht, als sie einen zweiten herankommen sah. Das mußte ihrer sein. Sie gab ein Handzeichen, und der doppelstöckige Bus fuhr an die Haltestelle. Zwei Minuten nach sieben Uhr war sie zu Hause.
Sie war Witwe und lebte, seit ihre beiden Kinder geheiratet hatten, allein. Obwohl ihr Haus – die Hälfte eines Doppelhauses – eher bescheiden war, empfand sie doch tiefen Besitzerstolz. Nach einer Zeit der Gewöhnung hatte sie entdeckt, daß sie das Alleinleben genießen konnte. Sie kochte sich eine reichliche Abendmahlzeit, wusch nach dem Essen ab und stellte den Fernseher an. Sie verstand nicht, warum so viele Leute am Programm etwas auszusetzen fanden. Ihr selbst gefiel alles mehr oder weniger, und manchmal bedauerte sie nur, daß sie nicht zwei Sendungen gleichzeitig sehen konnte. Nach den Nachrichten um zehn Uhr schaltete sie ab und ging zu Bett. Um halb elf lag sie in festem Schlaf.
Zur selben Zeit wurde auf einem Hof in Woodstock die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Es war brutal ermordet worden.
Teil eins
Ein Mädchen wird gesucht
Kapitel 1 – Mittwoch, 29. September
Von der St. Giles Street im Herzen Oxfords verlaufen zwei Straßen parallel wie die Enden einer Stimmgabel nach Norden. Am Stadtrand kreuzen beide die vielbefahrene Umgehungsstraße, auf der ein nicht abreißender Strom irrwitzig rasender Autofahrer an Oxford vorbeibraust. Der Verzicht auf die Reize der alten Universitätsstadt fällt ihnen wohl nicht allzu schwer. Die östliche der beiden Straßen führt nach Banbury und dann weiter durch eine eher langweilige Gegend in das Industriegebiet der Midlands. Auf der Straße im Westen gelangt der Autofahrer nach ungefähr 13 km in das kleine Städtchen Woodstock und von dort aus, folgt er der Straße, schließlich nach Stratford-upon-Avon. Die Fahrt von Oxford nach Woodstock ist nicht besonders abwechslungsreich, aber angenehm. Ausladende Rasenstreifen beiderseits der Straße vermitteln einen wohltuenden Eindruck von Weite, und nach nur wenigen Kilometern, hinter dem Dorf Yarnton, ist sie zu einer Schnellstraße mit einem baumbestandenen Mittelstreifen ausgebaut, so daß der vorher sich nur träge hinschleppende Verkehr zügig am Flughafen vorbeigeführt wird. Nicht ganz einen Kilometer vor Woodstock erhebt sich auf der linken Seite eine graue Steinmauer, die östliche Begrenzung der ausgedehnten Parkanlagen von Blenheim Palace, dem imposanten Herrenhaus, das Queen Anne ihrem General John Churchill, Erstem Herzog von Marlborough, erbauen ließ. Hohe schmiedeeiserne Gitter markieren den Eingang zur Schloßauffahrt. Den ganzen Sommer über kommen die Touristen in Scharen hierher, um in der eindrucksvollen Pracht der großen Räume umherzuwandern. Sie stehen bewundernd vor den flämischen Wandteppichen, die an die siegreichen Schlachten von Malplaquet und Oudenaarde erinnern, und besichtigen den Raum, in dem ein späterer Abkömmling der Familie Churchill, der große Sir Winston, das Licht der Welt erblickt hat. Nicht weit von hier, auf dem Friedhof des Dorfes Bladon, der seither viel von seiner einstigen Ruhe eingebüßt hat, liegt er auch begraben.
Heute lebt Woodstock im Schatten von Blenheim Palace. Das war jedoch nicht immer so. Die soliden grauen Häuser, die die Hauptstraße säumen, haben ein ehrwürdigeres Alter als Schloß Blenheim, auch wenn die vielen, nach letztem Chic eingerichteten Geschenkboutiquen, Antiquitätengeschäfte und Souvenirläden, die jetzt dort untergebracht sind, dies vergessen lassen könnten. Schon immer bot Woodstock seinen Gästen ein breites Spektrum verschiedener Unterkunftsmöglichkeiten, und mehrere der Hotels und Gasthöfe, die sich entlang den Straßen behaglich aneinanderdrängen, blicken nicht nur stolz auf
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