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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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daß es sinnlos war.« Lewis fühlte, daß er etwas erwidern sollte, aber es fiel ihm nichts ein.
    Nach einiger Zeit wandte Morse seine Aufmerksamkeit wieder irdischeren Dingen zu, und die beiden sahen erneut auf das tote Mädchen zu ihren Füßen. Eine Spur von getrocknetem Blut führte von der Stelle, wo sie lag, entlang der Mauer bis fast zur nächsten Hofecke.
     
    Der junge Mann wartete im Büro des Geschäftsführers. Seine Mutter wußte, daß er spät nach Hause kommen wollte, doch allmählich würde sie unruhig werden. Genau wie er. Es war halb zwei, als Morse schließlich ins Zimmer trat. Der Polizeiarzt, die Fotografen und die Leute von der Spurensicherung waren draußen noch an der Arbeit.
    »Name?«
    »Sanders. John Sanders.«
    »Sie haben die Leiche gefunden?«
    »Ja, Sir.«
    »Erzählen Sie mir, wie es dazu kam.«
    »Da ist nicht viel zu erzählen.«
    Morse lächelte. »Nun, dann werden wir das Gespräch ja schnell hinter uns bringen können.«
    Der junge Mann zeigte Anzeichen innerer Spannung. Morse saß ihm gegenüber, fixierte ihn mit unnachsichtigem Blick und wartete.
    »Also, ich bin auf den Hof gegangen, und da lag sie eben. Ich habe sie nicht angerührt. Sah man gleich, daß sie tot war. Ich bin sofort zurückgegangen und habe drinnen Bescheid gesagt.«
    Morse nickte. »Sonst noch was?«
    »Nein, das war’s eigentlich.«
    »Sie haben sich erbrochen, Mr. Sanders?«
    »Ja. Mir war schlecht.«
    »War Ihnen schon vorher schlecht oder erst, nachdem Sie das Mädchen gesehen hatten?«
    »Nachher. Hat mich ganz schön mitgenommen, wie sie da so lag … War wohl so was wie ’n Schock.«
    »Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit?«
    »Was wollen Sie ’n damit sagen?«
    Morse seufzte. »Sie haben doch wohl kein Auto, oder?«
    »Nein.«
    »Machen Sie das dann immer? So einen kleinen Spaziergang über den Hof, bevor Sie den Heimweg antreten?« Sanders schwieg. »Was haben Sie heute abend getrunken?«
    »Nur ein paar Whisky. Ich war nicht betrunken.«
    »Mr. Sanders, ich erfahre es doch sowieso, wenn ich will. Also warum sagen Sie es mir nicht gleich selber?« Es war deutlich, daß der Gedanke, Morse könne seinetwegen herumfragen, Sanders unbehaglich war. »Wann sind Sie gekommen?«
    »So gegen halb acht.«
    »Sie haben sich betrunken und sind rausgegangen, weil Ihnen übel wurde.« Sanders stimmte dem widerstrebend zu. »Sitzen Sie gern allein an der Bar?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Auf wen haben Sie gewartet?« Sanders schwieg. »Sie hat sich nicht blicken lassen?«
    »Nein«, sagte er tonlos.
    »Aber sie war da?«
    »Nein. Ich war die ganze Zeit allein.«
    »Sie war da«, wiederholte Morse ruhig. »Stimmt doch, Sanders?« Der junge Mann saß in sich zusammengesunken. »Sie war da«, fuhr Morse im selben ruhigen Ton fort, »sie war da, und Sie haben sie auch gesehen. Auf dem Hof – tot.«
    Der junge Mann nickte.
    »Jetzt müssen wir beide uns doch wohl etwas länger miteinander unterhalten«, sagte Morse.

Kapitel 3 – Donnerstag, 30. September
     
    Morse stand allein in Sylvia Kayes Zimmer und fühlte so etwas wie Erleichterung. Die schlimmen Pflichten der vergangenen Nacht lagen hinter ihm, und er zwang sich, die quälenden Bilder, die immer noch in ihm aufstiegen, beiseite zu schieben. Er wollte nicht mehr daran denken: nicht an Sylvias Mutter, wie sie, aus dem Schlaf geschreckt, vor ihm stand, nicht an Mr. Kaye, den man in der Autofabrik in Cowley, wo er als Schweißer arbeitete, von der Nachtschicht geholt hatte, nicht an ihren furchtbaren Schmerz, der hilflos in sinnlosen Anschuldigungen und verletzenden Gemeinheiten aus ihnen herausgebrochen war. Sylvias Mutter hatte ein Beruhigungsmittel bekommen, einen Aufschub für Stunden nur, dann würde die Erinnerung und damit das Leid zurückkehren. Sergeant Lewis saß inzwischen mit Sylvias Vater im Präsidium und ließ ihn über seine Tochter erzählen. Er schrieb sorgfältig mit, doch obwohl seine Notizen schließlich mehrere Seiten füllten, hatte er nicht das Gefühl, etwas Wesentliches erfahren zu haben. In einer halben Stunde sollte er sich mit Morse treffen.
    Das Zimmer, in dem Sylvia geschlafen hatte, war klein. Eins von drei Zimmern im oberen Stockwerk einer schmucken Doppelhaushälfte in Jackdaw Court. Die Straße verlief in einem halbkreisförmigen Bogen. Die Gegend war ruhig, wenn auch etwas heruntergekommen, mit altersschiefen Zäunen um die kleinen Vorgärten. Jackdaw Court lag nur wenige Minuten Fußweg entfernt von der Woodstock Road.

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