Der Letzte Bus Nach Woodstock
aus einer schäbigen Nebenstraße von Soho. Aber sie hatte natürlich recht. Er hatte sein Bedürfnis befriedigt, und damit Schluß. Und sie? Sie denn nicht? Was wollte sie noch? Vielleicht war sie wirklich eine Prostituierte. Während seiner Zeit in der Armee hatte er viele Männer gekannt, die sich bei derartigen Abenteuern einen Tripper oder Schlimmeres geholt hatten. Auf was hatte er sich da eingelassen? Was hatte er mit ihr zu schaffen? Was suchte er hier in diesem dunklen Hof? Er kam sich vor wie in einer Falle. Er mußte zusehen, daß er hier wegkam. Sollte er ihr Geld anbieten? Er suchte in seinen Taschen, fand aber nur einige Münzen und eine Pfundnote.
»Das ist alles? Ein Pfund? Du hältst mich wohl für den letzten Dreck. Glaubst du, du kriegst es billiger, weil du was Besonderes bist?« Er spürte tiefe Erniedrigung. Sie stiegen aus. Auch draußen gab sie noch keine Ruhe. »Denk nicht, daß du dich so einfach davonstehlen kannst – ich find deinen Namen noch heraus, das wirst du schon sehen!«
An alles, was danach kam, konnte er sich nur undeutlich erinnern. Er hatte noch etwas gesagt, und sie hatte irgend etwas darauf erwidert. Einen Augenblick lang hatten die Scheinwerfer seines Wagens den Hof in helles Licht getaucht, dann war er durch die enge Einfahrt auf die Straße gefahren. Er hatte den dringenden Wunsch nach einem Whisky gehabt. Irgendwie hatte er einen Pub gefunden. Auf der Weiterfahrt nach Hause hatte er plötzlich einen Mini vor sich gehabt. Er hatte Gas gegeben und überholt und war, wie von Furien gehetzt, durch die Nacht gerast. Am nächsten Tag hatte es dann in der Zeitung gestanden. Sylvia Kaye war im Hof des Black Prince ermordet worden.
Er hätte diesen Brief nicht schreiben sollen. Gut, daß wenigstens Peter deswegen keine Schwierigkeiten bekommen hatte. Bestimmte Dinge vertraute man dem Papier besser nicht an. Es war leichtsinnig gewesen. Obwohl – die ganze Zeit über hatte es vorzüglich geklappt. Die Idee stammte von ihr, sozusagen aus der Not geboren. Die Post in Nord-Oxford kam von Monat zu Monat später. Inzwischen war man schon froh, wenn sie bis zehn da war. Bei Town and Gown schien es niemanden zu stören, wenn die Mädchen sich ihre Briefe ins Büro schicken ließen. Er hatte oft erst am Tag vorher gewußt, ob er sie wirklich würde treffen können, und auf diesem Wege hatte er ihr immer rechtzeitig absagen oder eine Änderung mitteilen können. Manchmal hatte er in den Briefen noch eine kurze verschlüsselte Botschaft versteckt – nur so zum Spaß.
Doch beim letztenmal war aus dem Spiel auf einmal bitterer Ernst geworden. Und Morse war auf dem Quivive gewesen und dahintergekommen, daß mit dem Brief etwas nicht stimmte; wenn seine Schlußfolgerungen auch nur zum Teil richtig gewesen waren. Ihm die Wahrheit zu sagen, hatte ihm seine Loyalität verboten, aber er hatte ihn auch nicht vollkommen in die Irre führen wollen. Nur ein bißchen – so weit, wie eben nötig. Das mit der gleichen Größe zum Beispiel … Morse würde sicher bald hier vorbeikommen. Wer weiß, wenn sie sich unter anderen Umständen begegnet wären, hätten sie vielleicht nähere Bekanntschaft miteinander geschlossen, vielleicht wären sie sogar Freunde geworden …
Er schlief ein. Als er aufwachte, war es dunkel im Saal, nur weiter vorn über dem Tischchen am Eingang brannte eine schwache Lampe, und er konnte die weiße Gestalt der Nachtschwester erkennen, die dort saß und etwas schrieb. Die anderen Patienten schienen alle zu schlafen. Erneut stürzten die Ereignisse der letzten Tage auf ihn ein. Margaret hatte sich das Leben genommen. Ihn quälte die Frage nach dem Warum. War es so, wie sie in ihrem Brief geschrieben hatte, daß ihr die Kraft zum Leben fehlte? Wie sollte er ohne sie weitermachen, und was wurde aus den Kindern – ohne sie?
In seiner Brust krampfte sich etwas zusammen. Er spürte einen scharfen, durchdringenden Schmerz und wußte im selben Moment mit absoluter Gewißheit, daß er sterben würde. Plötzlich stand die Schwester an seinem Bett, dann kam der Arzt. Margaret! Er war in Schweiß gebadet. Hatte sie Sylvia getötet? Jetzt war es nicht mehr von Bedeutung. Die Schmerzen ließen nach, und ihn erfüllte eine ruhige Heiterkeit.
»Herr Doktor«, flüsterte er.
»Haben Sie keine Angst, Mr. Crowther. Sie werden sich gleich besser fühlen.« Doch Crowther hatte einen weiteren Herzinfarkt erlitten, und seine Chancen, die Nacht zu überleben, standen schlecht.
»Herr Doktor,
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