Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation
wissenschaftsfreundliche Religion. In ihr hatten die Engel im Himmel zu fliegen und die Teufel in der Hölle zu schmoren. Widerspruch wurde nicht geduldet. //
Man hätte sich an das große Werk des Aristoteles* (384–322 v. Chr.) erinnern können, der viele Wissenschaftsbereiche gegründet hat. Oder an die Lehre des Heraklit* (um 520 bis ca. 460 v. Chr.), wonach Streit und Widerspruch unvermeidbar seien. Aus dem Zusammenwirken dieser beiden Handlungsweisen entstehe die Welt. Nach Zenon von Kriton (um 334–264 v. Chr.), der die erfolgreiche Philosophenschule der Stoa gründete, ist der Mensch das einzige mit Vernunft begabte Lebewesen. Daher sei er in der Lage, die Gesetze seiner Welt zu erkennen. Nichts solle ihn erschüttern und er solle sein Leben nicht an äußere Dinge hängen. Mit stoischer Ruhe (den Begriff gibt es bis heute) und Selbstdisziplin sollte jedes Los tapfer ertragen werden. //
Für Pythagoras (um 570–497 v. Chr.) war die physikalische Welt streng mathematisch geordnet. Welcher Schüler kennt den Namen dieses Philosophen nicht. Von ihm stammt der Satz, nach dem das Quadrat der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks gleich der Summe der Quadrate der beiden Seiten ist (a 2 + b 2 = c 2 ). //
Die Wünsche des Spielers werden nach Möglichkeit erfüllt, wenn es das Programm hergibt. Hatte Pandora das nicht mehrmals gesagt?
So kam dem Spieler Tamas in den Sinn, seinen Avatar Tulu auch ins geistige Zentrum jener Zeit, nach Athen, zu schicken. Zeitsprünge, schnell wie Gedanken, räumliche Veränderungen – ein Klick in einen anderen Programmteil – und die Welt ist eine andere. Kein Problem. Ein Wunsch, ein Gedanke, der die Neuronen im Gehirn bündelt und dem Programm einen Befehl gibt – das sollte getestet werden …
Da brauchte er erst gar nicht lange mit Pandora reden. Auf nach Athen also!
Wie sollen wir leben?
Der bekannteste aller griechischen Philosophen verbreitete seine Lehren auf dem Athener Marktplatz, der Agora*, und in den umliegenden Straßen. Dort ging der langbärtige mittelgroße, ungepflegt wirkende Mann in seinem langen, faltenreichen, hemdartigen Überwurf Tag für Tag umher. Seine Züge waren grob, seine Augen hervorstehend, seine Nase eingedrückt. Doch sein Ruhm als Denker war weitverbreitet und er wurde auf Schritt und Tritt angesprochen.
„Sage uns, Sokrates*, wie sollen wir leben in der heutigen Zeit?“
„Ich verstehe deine Frage nicht, mein Schüler. Was meinst du mit heutiger Zeit?“
„Die Gegenwart meine ich. All diese Wirren unseres Lebens, die Kriege, die politischen Unruhen und Kämpfe in unserer Stadt.“
„Du glaubst, Daimos, dein Leben müsstest du anders führen, wenn wir friedlichere Zeiten hätten?“
„So ist es, Sokrates.“
„Ich sage dir, mein Schüler, dass dem nicht so ist. Es gibt keinen allein gültigen Weg für die Lebensführung. Das Einzige, was ich dir sagen kann, ist, sei dir selber treu.“
„Was meinst du damit?“
„Die immer neue Suche nach Wissen führt dich zur Tugend. Das heißt: Stelle immer wieder aufs Neue die Fragen nach Richtig und Falsch, was Recht ist und was Unrecht, was ehrenvoll und tugendhaft ist und was nicht. Denn wisse, Daimos, dir selber treu kannst du nur sein, wenn du stets alles infrage stellst und von Neuem beginnst, gleichgültig, wie dein Leben in den Wirren des Tages verläuft. Lass dein Innerstes, deine Seele nicht berühren von Glück oder Unglück, von Schmerz und Verlust, von Unrecht und Verrat.“
„Gut gesprochen, Meister“, rief jemand, „als wenn das so einfach wäre!“
„Die Lösung liegt alleine bei den Göttern“, rief ein anderer aus der Menge. „Sie wissen, was richtig und falsch ist und wie wir zu leben haben. Das müssen wir anerkennen. Wenn wir zu ihnen beten, werden sie uns den rechten Weg zeigen. Willst du das etwa auch infrage stellen?“
„Ich stelle nicht die Götter in Frage. Ich habe jedoch eine Pflicht mir selbst gegenüber und nicht gegenüber den Göttern, irgendeinem Gesetz oder irgendwelchen anderen Autoritäten oder Traditionen ...“
„Gottloser Mensch! Frevel! Verführer der Jugend!“, ertönten Stimmen aus der Menge.
„Ich werde stets das aussprechen“, fuhr der Philosoph unbeirrt fort, „was ich für richtig halte. Eher würde ich sterben, als dieses Recht aufzugeben. Alles muss anfechtbar sein, wie ich euch lehrte. Frage und Antwort im Wechselspiel zwischen Lehrer und Schüler ist die Suche nach der Wahrheit. Vermeintliches Wissen ist stets zu
Weitere Kostenlose Bücher