Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation
allen noch lebenden Mitgliedern der verbrecherischen Mannschaft des Kapitäns Karakis!“, lautete nach kurzem Verfahren der Spruch des Theofanes, des obersten Richters der Insel. Dem Garamanten Tulu als einzigem noch lebenden Passagier hatte Teofanes nicht geglaubt, dass er nicht zu den Schmugglern gehörte. Schon seine olivdunkle Hautfarbe und sein hoher Wuchs hatten ihn als Fremden und damit von vorneherein als verdächtig ausgezeichnet. Erst recht, als das Wort „Garamant“ fiel. Die meisten wussten nichts Genaues von diesem fernen Wüstenvolk, doch irgendwann hatte jemand behauptet, diese Leute seien alle Wegelagerer und Mörder. Dieses Gerücht hielt sich hartnäckig, jedes Wort Tulus war überflüssig, sein Tod war beschlossene Sache.
Bereits am frühen Morgen des nächsten Tages wurden die Verurteilten zur Hinrichtungsstätte an den über 1 000 Meter steil ansteigenden Felswänden des Kerkis-Massivs im Westen der Insel Samos geschafft. Der Henker Sotos, ein vierschrötiger Mann mit einer schlecht verheilten Narbe im Gesicht, zerrte Tulu, der an einen Strick gebunden war, hinter sich her. Die anderen Verurteilten, Karakis und der Rest seiner Mannschaft, wurden von den Gehilfen des Henkers zur Hinrichtungsstätte geprügelt.
Nach vier Stunden Fußmarsch, bei dem sich etliche Schaulustige anschlossen, standen die Verurteilten in einer Reihe am Abgrund. Weit unter ihnen war ein Streifen weißer Brandungswellen zu sehen. Das Jammern und Klagen, das Flehen um Gnade fand hier oben kein Gehör. Der Wind riss jedes Wort davon, auch den Urteilsspruch und die Begründung, die der oberste Schreiber des Gerichts, der in Vertretung des Richterkollegiums der Hinrichtung beiwohnen musste, verlas.
„Henker, walte deines Amtes!“
„Ja, werft sie den Fischen zum Fraß vor!“, schrien die Zuschauer, die von den Knechten auf Abstand gehalten werden mussten, sonst hätten sie die Hinrichtung selbst erledigt.
Einem Todeskandidaten nach dem anderen wurde der Strick vom Hals gerissen. Mit einem groben Stoß in den Rücken wurden sie über die Kante des Felsens geworfen. Jede Abwehr wurde von den Knechten, ehemaligen, in grausamen Schlachten erprobten Seesoldaten, im Keim erstickt.
Die Sturmmöwen in den Felsen wunderten sich nicht wenig über die schreienden, ungelenk mit vier Flügeln ohne Gefieder in der Luft rudernden Vögel, die an ihren Nistplätzen vorbei in die Tiefe rauschten.
„Krih! Kriiih!“, schrien sie ihnen hinterher.
Noch zwei Männer, dann würde Tulu an der Reihe sein.
Der Sturm hat mich verschont, das Meer hat mich wieder freigegeben, doch nun endet meine Reise!, dachte er traurig. Es kommt der Tod und die Unsterblichkeit. So sagt es der Glaube der Ägypter. Wird es so sein?
„Den Blick geradeaus!“, hörte er eine Stimme aus dem Ginstergebüsch in der Nähe.
In dieser Sekunde wurden die Schergen von der heftigen Gegenwehr des vorletzten Verurteilten abgelenkt. Es war Karakis, dessen vom Stich einer Lanze rührende Wunde im Gesicht vor Angst und Wut rot aufglühte. Als sie ihm den Strick vom Hals nahmen, schlug er mit aller Kraft um sich.
„Nicht mit mir, ihr elenden Hunde!“
Die Henkersgehilfen waren überrascht. Der Todeskandidat schaffte es, sich einen Pfeilschuss weit vom Abgrund zu entfernen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, wann die Knechte Sotos ihn wieder einfangen würden, um ihn mit roher Gewalt zurück zum Abgrund zu zerren.
„Lass dir nichts anmerken!“, flüsterte die Stimme nahe bei Tulu beschwörend.
Leicht wie Luft
Niemand bemerkte den Schatten, der plötzlich aus dem nahen Gebüsch schoss. Die Schergen waren zu sehr mit dem Einfangen des Gefangenen beschäftigt.
„Eftigh!“
„Sei leise. Gib mir deine Hand.“
Tulu fühlte, wie der Falke etwas in seine Hand legte, das er im Schnabel getragen hatte. Es war glatt, strömte Wärme aus, die ihn durchfloss, die ihn ruhig machte. In seiner Hand lag ein Edelstein. Sein blaues Licht schimmerte sanft zwischen seinen Fingern.
„Nicht hinsehen“, befahl der Falke, „halte ihn fest. Es ist ein blauer Türkis. Während des Falls wird er dir die Rettung bringen!“
Die Farbe des Steins erinnerte ihn an die blaue Nacht im Arabischen Meer, an das Licht, das die sieben Schwestern ausstrahlten.
„Das Mondmädchen!“
In der Vorstellung des Avatars stieg das Bild des Mädchens auf. In allen Gestalten, in denen er unterwegs war, war er ihr begegnet. „Wo hast du sie getroffen?“
„Ich rastete auf einem Felsen am
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