Der letzte Code - ein Roman über die Geschichte der Zivilisation
du mich jetzt auch raus?“
„Nicht direkt.“
„Hab verstanden.“ Moki geht zur Tür.
„Entschuldige Moki, ich wollte dich nicht ... hab aber echt noch eine wichtige Sache zu erledigen.“
„Alles klar. Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.“
„Mmmh!“, murmelt Tamas abwesend, während Moki den Keller verlässt. Ein neuer Code ist am Bildschirm aufgetaucht.
Level 9
Die Welt mithilfe des Verstandes ergründen
//zwischen 600 und 300 v. chr.//
Reale Zeit: Donnerstag, 28. Oktober, 17.00 Uhr
Realer Ort: Tamas’ Keller
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Virtuelle Zeit: zwischen 600 und 300 v. chr.
Virtueller Ort: antikes Griechenland, Milet,
Athen
Woraus besteht die Welt?
Ein älterer Mann passierte zusammen mit einigen jungen Leuten das Stadttor von Milet. Ein Arbeiter im Weinberg, an dem sie vorbeikamen, lachte und rief: „Thales, du arme Sau, arbeite lieber, statt bei den Leuten deine blöden und nutzlosen Theorien zu verbreiten!“
Zwei reiche Kaufleute, die in ihrer Kutsche zur Stadt fuhren, wiesen auf den bärtigen Thales* und die Schüler in seinem Gefolge. „He, ihr Dummköpfe. Verlasst den Alten und hört nicht auf seine wirren Reden. Das bringt euch nicht weiter im Leben. Und Reichtümer sammelt ihr so ganz bestimmt nicht!“
„Kommt mit, meine Schüler, zum Strand hinunter“, sagte der Philosoph, über den die Bürger sich lustig machten. „Gebt nichts auf den Spott der Leute. Ich bin es seit Langem gewohnt, dass sie meine Philosophie lächerlich machen. Die Menschen sind so dumm. Ihr einziges Streben ist der Mammon!“
Die Gruppe ließ sich mit ihrem Lehrer auf den Steinen am Strand nieder. Die jungen Männer lauschten eine Weile dem Rauschen der Wellen, ließen Sand durch die Finger rieseln und betrachteten die ersten Sterne, die am Firmament aufgingen. Auch Tulu, Königssohn, Avatar des Spielers Tamas, war unter ihnen.
„Was ist das Wesen der Welt?“, fragte der Philosoph in die Runde. „Ist sie Eigentum der Götter? Ist es uns erlaubt, die von ihnen geschaffene Welt zu durchschauen?“
Tulu musste daran denken, dass er diese Frage von seinem Lehrer noch niemals gehört hatte.
„Wir können sie durchschauen“, verkündete Thales und wies dabei über das Meer. „Denn alle Materie besteht in irgendeiner Form aus Wasser. Es ist der Grundstoff allen Lebens. Durch Verdunstung verwandelt es sich in Dampf, durch Frost in einen festen Stoff. Die Erde schwimmt auf dem Wasser ähnlich wie Holz auf dem Teich. Bei einem Erdbeben bringen unterirdische Wellen sie zum Schaukeln. Alles in der Natur lässt sich erklären, meine Schüler. Nichts ist alleine den Launen der Götter zuzuschreiben.“
„Worin besteht das Wirken der Götter?“, wollte ein Schüler wissen.
„Ihre Seele waltet in allen Dingen.“
„Schön und gut“, warf der Schüler ein, „doch erkläre uns genau, was die Seele ist.“
„Sie ist das, was die Dinge lebendig macht, was Handlungen hervorbringen oder auslösen kann.“
„Wenn etwas lebt, hat es eine Seele?“, fragte Tulu.
„Gewiss. Sonst wäre die Welt unbelebt und tot, wenn sie keine Seele hätte.“
„Das heißt, auch Tiere haben eine?“
„Natürlich. Sogar Materie ist beseelt. Sieh einen Magneten an, der Bewegung in Eisen hervorruft. Auch er hat eine Seele.“
//DER BRUCH MIT DER VERGANGENHEIT//
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Das Entscheidende und Neue im Denken dieser ersten Philosophen war ihr Bruch mit der Vergangenheit. Sie versuchten, die Welt mithilfe ihres Verstandes zu ergründen. Thales (um 624 bis ca. 547 v. Chr.) und andere, die nach ihm kamen, beriefen sich eben nicht mehr oder nicht mehr nur auf die Götter, die Tradition, auf Autoritäten oder was auch immer. //
Das war ein großer Sprung in der Entwicklung der Kultur und damit auf dem Weg der menschlichen Entwicklung. Für Anaximander (um 610 bis ca. 547 v. Chr.) und Anaximenes (um 585 bis ca. 528 v. Chr.), aus der Schule des Thales, war der Planet noch kein Globus, sondern flach, aber immerhin ein Festkörper, der durch irgendeine Kraft gehalten frei im Raum schwebt. Anaximander hatte dann doch die Idee von der Erde als Kugelgestalt. Auch Aristarch* von Samos (um 310 bis ca. 230 v. Chr.) schrieb davon, dass sich diese Kugel um die Sonne bewegt. //
// DAS WISSEN GING VERLOREN //
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Vieles von diesem Wissen ging wieder verloren, als ein großer Teil Europas später christlich wurde. Das Christentum war lange Zeit keine
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