Der letzte Coyote
mysteriösen Andeutungen geweckt und sie hatte nicht widerstehen können.
»Wo hat man sie gefunden?« fragte er.
Seine Frage stieß auf Schweigen. Er verstand nicht, warum sie nichts sagten, besonders Irving nicht. Der Assistant Chief hatte ihm zuletzt immer das Gefühl gegeben, daß sie sich verstanden, vielleicht sogar respektierten.
»Ich habe ihr gesagt, daß sie nichts unternehmen soll«, sagte er. »Sie sollte die Story in der Schublade liegen lassen.«
Irving drehte sich um, so daß er Bosch teilweise sehen konnte.
»Detective, ich habe keine Ahnung von wem oder wovon Sie reden.«
»Keisha Russel.«
»Kenn’ ich nicht.«
Er drehte sich wieder nach vorne. Bosch war verwirrt. Die Namen und Gesichter gingen ihm wieder durch den Kopf. Er nahm Jasmine hinzu und schloß sie dann wieder aus. Sie wußte nichts über den Fall.
»McKittrick?«
»Detective«, sagte Irving und mühte sich wieder, Bosch anzusehen. »Wir ermitteln im Mordfall Harvey Pounds. Diese anderen Namen haben damit nichts zu tun. Falls Sie glauben, daß diese Leute benachrichtigt werden sollten, sagen Sie es mir bitte.«
Bosch war wie vor den Kopf geschlagen. Harvey Pounds? Das machte keinen Sinn. Er hatte nichts mit dem Fall zu tun, wußte noch nicht einmal davon. Pounds verließ nie sein Büro. Wie konnte er sich in Gefahr gebracht haben? Dann schlug die Welle eiskalt über ihm zusammen. Er begriff. Es machte Sinn. Und in dem Moment, als er es erkannte, erkannte er auch seine Verantwortung und seine verteufelte Lage.
»Bin ich …«
Er brachte den Satz nicht zu Ende.
»Ja«, sagte Irving. »Wir verdächtigen Sie der Tat. Sagen Sie jetzt bitte nichts mehr. Wir werden ein formelles Verhör durchführen.«
Bosch lehnte seinen Kopf gegen das Fenster und schloß die Augen.
»O Gott …«
In dem Moment begriff er, daß er nicht viel besser war als Brockman, der einen Polizisten zum Wandschrank geschickt hatte. Bosch wußte tief in seinem Herzen, daß er verantwortlich war. Er wußte nicht, wie oder was passiert war. Aber das wußte er.
Er war für Harvey Pounds’ Tod verantwortlich. Und er trug Pounds’ Dienstmarke in der Tasche.
32
B osch war wie betäubt und nahm kaum wahr, was um ihn herum vorging. Als sie im Parker Center angekommen waren, brachte man ihn zu Irvings Büro im fünften Stock und setzte ihn dann auf einen Stuhl im angrenzenden Konferenzraum. Er wartete eine halbe Stunde allein, bis Brockman und Toliver kamen. Brockman setzte sich Bosch direkt gegenüber, Toliver an seine rechte Seite. Der Umstand, daß das Verhör hier und nicht in einem Raum des DIEs stattfand, machte deutlich, daß Irving direkte Kontrolle über die Angelegenheit haben wollte. Falls es darauf hinausliefe, daß ein Polizist von einem Polizisten umgebracht worden war, würde er soviel Kontrolle wie möglich brauchen, um den Schaden einzudämmen. Der Skandal würde dem Rodney-King-Fall gleichkommen.
Allmählich drang durch Boschs Benommenheit und den Schock über Pounds’ Tod ein Gedanke: Er selbst steckte tief in Schwierigkeiten. Er konnte sich nicht in sein Schneckenhaus zurückziehen. Er mußte auf der Hut sein. Nichts würde dem Mann auf der anderen Seite des Tisches eine größere Freude machen, als wenn er ihm einen Mord anhängen könnte. Jedes Mittel würde ihm recht sein. Es reichte nicht aus, daß Bosch wußte, daß er Pounds nicht getötet hatte – wenigstens nicht im herkömmlichen Sinn. Er mußte sich verteidigen. Also beschloß er, Brockman gegenüber nichts herauszulassen. Er würde knallhart sein, wie jeder hier im Zimmer. Er räusperte sich und begann, bevor Brockman etwas sagen konnte.
»Wann ist es passiert?«
»Ich stelle die Fragen.«
»Ich kann Ihnen Zeit ersparen, Brockman. Sagen Sie mir, wann es passiert ist, und ich sage Ihnen, wo ich war. Bringen wir’s hinter uns. Ich verstehe, warum ich verdächtigt werde, und nehme Ihnen das nicht übel. Sie verschwenden jedoch Ihre Zeit.«
»Bosch, haben Sie überhaupt keine Gefühle? Ein Mann ist tot. Und sie haben mit ihm gearbeitet.«
Bosch starrte ihn lange an, bevor er mit beherrschter Stimme antwortete.
»Meine Gefühle spielen keine Rolle. Niemand verdient zu sterben. Aber ich werde ihn nicht vermissen, und ich werde es sicher nicht vermissen, für ihn zu arbeiten.«
»Gott«, Brockman schüttelte seinen Kopf. »Der Mann hatte eine Frau. Einen Jungen, der aufs College geht.«
»Vielleicht werden sie ihn auch nicht vermissen. Man weiß nie. Der Typ war bei der Arbeit
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