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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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unterschrieb.«
    »Augenblick, ich werde nachsehen.« Er wartete, und sie kam sofort zurück. »Okay, ich habe sie. Der Leihkarte nach wurde die Akte nur ein weiteres Mal ausgeliehen. 1972. Also schon vor langer Zeit.«
    »Wer hat sie damals ausgeliehen?«
    »Es ist gekritzelt. Ich kann es nicht … sieht so aus wie Jack … ah, Jack McKillick.«
    »Jake McKittrick.«
    »Könnte sein.«
    Bosch wußte nicht, was er davon halten sollte. McKittrick hatte die Akte als letzter gehabt, aber das war mehr als zehn Jahre nach dem Mord gewesen. Was hatte es zu bedeuten? Bosch fühlte, wie seine Verwirrung wuchs. Er wußte nicht, was er erhofft hatte. Er hatte jedoch etwas anderes erwartet als einen vor mehr als zwanzig Jahren hingekritzelten Namenszug.
    »Okay, Mrs. Beaupre. Vielen Dank.«
    »Also falls Ihnen Seiten fehlen, muß ich Mr. Aguilar darüber Bericht erstatten.«
    »Ich glaube, das wird nicht nötig sein, Ma’am. Vielleicht irre ich mich. Ich meine, wie können Seiten fehlen, wenn niemand die Akte hatte, seitdem ich sie das letztemal ausgeliehen habe?«
    Er dankte ihr noch einmal und legte dann auf. Hoffentlich hielt seine beschwichtigende Bemerkung sie davon ab, etwas wegen der fehlenden Seiten zu unternehmen. Er öffnete den Kühlschrank und schaute hinein, während er über den Fall nachdachte. Dann schloß er ihn wieder und ging zurück zum Tisch.
    Mit dem ›Ermittlungsgutachten‹, datiert vom 3. November 1962, endete das Mordbuch. Die polizeilichen Richtlinien verlangten, daß ungelöste Mordfälle nach einem Jahr von einem neuen Team Detectives untersucht wurden, um zu überprüfen, ob etwas übersehen worden war. In der Praxis zeichnete man jedoch automatisch ab. Kein Detective hatte große Lust, seinen Kollegen Fehler nachzuweisen. Wenn man mit EG beauftragt war, beschränkte man sich darauf, das Mordbuch zu lesen und ein paar Zeugen anzurufen. Danach schickte man die Akte ins Archiv zurück.
    In diesem Fall kam das EG der Detectives Roberts und Jordan zu dem gleichen Schluß wie die Berichte von Eno und McKittrick. Nachdem sie zwei Seiten lang die gleichen Beweisstücke und Vernehmungen aufgeführt hatten, wie die ursprünglichen Ermittler, kamen sie abschließend zu dem Urteil, daß es keine brauchbaren Fährten gebe und daß keine Aussicht auf einen ›erfolgreichen Abschluß‹ der Ermittlungen bestehe. Damit hatten sie ihre Pflicht erfüllt.
    Bosch schlug das Mordbuch zu. Er wußte, daß man die Akte nach Roberts’ und Jordans EG als ›toten Fall‹ ins Archiv geschickt hatte. Dort war sie allmählich verstaubt, bis sie McKittrick laut Leihkarte 1972 aus unbekannten Gründen ausgeliehen hatte. Bosch schrieb McKittricks Namen unter den von Conklin in sein Notizbuch. Dann trug er die Namen von anderen Personen ein, bei denen es sich lohnen könnte, sie zu befragen. – Falls sie noch lebten und zu finden waren.
    Bosch lehnte sich in seinem Stuhl zurück und merkte, daß die CD abgelaufen war, ohne daß er es bemerkt hatte. Er sah auf die Uhr. Es war halb drei. Er hatte noch den ganzen Nachmittag, er wußte jedoch nicht, was er mit ihm anfangen sollte.
    Er ging im Schlafzimmer in den begehbaren Wandschrank und nahm einen Schuhkarton vom Regal. Er enthielt seine Korrespondenz: Briefe, Karten und Fotos, die er über die Jahre aufbewahrt hatte. Manche Sachen stammten aus seiner Vietnamzeit. Er sah selten in die Schachtel, aber sein Gedächtnis enthielt eine fast perfekte Inventarliste des Inhalts. Für jedes Objekt gab es einen Grund, warum er es behalten hatte.
    Oben lag der neueste Eingang. Eine Postkarte aus Venedig. Von Sylvia. Abgebildet war ein Gemälde im Dogenpalast: ›Die Glückseligen und die Verdammten‹ von Hieronymus Bosch. Ein Engel führte einen der Seligen durch einen Tunnel zum Licht des Himmels. Sie schwebten beide nach oben. Die Karte war die letzte Nachricht, die er von ihr bekommen hatte. Er las die Rückseite:
     
    Harry,
    ich dachte mir, Du würdest Dich für ein Werk Deines Namensheiligen interessieren. Ich habe es im Palast gesehen . Es ist schön. Übrigens, ich liebe Venedig! Ich glaube, ich könnte für immer hierbleiben!
    S.
     
    Aber mich liebst du nicht, dachte Bosch, als er die Karte beiseite legte. Er begann, konzentriert in der Schachtel zu kramen. Nachdem er den Inhalt zur Hälfte durchgesehen hatte, fand er, was er suchte.

6
    D ie mittägliche Fahrt nach Santa Monica zog sich in die Länge. Bosch mußte einen Umweg machen, die 101 bis zur 405 und dann südlich, da

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