Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
die 10 erst in einer Woche wieder offen sein würde. Als er Sunset Park erreichte, war es nach drei. Das Haus, nach dem er suchte, befand sich in der Pier Street. Es war ein kleines Holzhaus auf der Kuppe des Hügels. Eine Veranda erstreckte sich die ganze Vorderseite entlang, und Bougainvillea hing über das Geländer. Er verglich die Adresse auf dem Briefkasten mit der auf dem Kuvert der Weihnachtskarte, die auf dem Beifahrersitz lag. Nachdem er am Straßenrand geparkt hatte, betrachtete er noch einmal die Karte, die vor fünf Jahren an die Adresse des Reviers geschickt worden war. Er hatte nie darauf geantwortet. Bis jetzt nicht.
    Als er ausstieg, roch er das Meer. Wahrscheinlich konnte man aus den Westfenstern des Hauses einen Teil des Ozeans sehen. Es war hier ungefähr fünf Grad kühler als bei ihm zu Hause, und er holte sein Sportjacket aus dem Wagen. Während er es anzog, ging er zur Vorderveranda.
    Der Frau, die die weiße Tür nach einmaligem Klopfen öffnete, konnte man ihr Alter ansehen. Sie war Mitte Sechzig, dünn mit dunklem Haar. Die grauen Wurzeln verrieten jedoch, daß es wieder gefärbt werden mußte. Ihr Lippenstift war dick aufgetragen, und sie trug eine weiße Seidenbluse mit blauen Seepferdchen sowie dunkelblaue Hosen. Sie lächelte und Bosch erkannte sie, merkte aber, daß ihr seine Erscheinung völlig fremd war. Es war fast fünfunddreißig Jahre her, daß sie ihn gesehen hatte. Er erwiderte ihr Lächeln.
    »Meredith Roman?«
    Ihr Lächeln verschwand so schnell, wie es erschienen war.
    »So heiße ich nicht«, sagte sie in gezwungenem Ton. »Sie haben die falsche Adresse.«
    Sie wollte die Tür wieder schließen, aber Bosch hielt sie mit der Hand auf. Er bemühte sich, es so sanft wie möglich zu tun. Gleichwohl erkannte er die Panik in ihren Augen.
    »Ich bin’s, Harry Bosch«, sagte er schnell.
    Sie erstarrte und schaute ihm in die Augen. Er sah, wie die Panik sich legte. Wiedererkennen und Erinnerungen füllten ihre Augen mit Tränen. Ihr Lächeln kehrte zurück.
    »Harry, der kleine Harry?«
    Er nickte.
    »Ach, Schatz, komm her.« Sie umarmte ihn innig und sprach dicht an seinem Ohr. »Oh, es ist so schön, dich zu sehen nach … Laß dich ansehen.«
    Sie schob ihn zurück und breitete ihre Arme aus, als wollte sie einen Raum voller Gemälde auf einmal betrachten. Ihr Blick war lebhaft und aufrichtig. Ihm war wohl und traurig zugleich zumute. Er hätte nicht so lange warten sollen. Er hätte sie nicht aus dem Grund besuchen sollen, der ihn heute zu ihr führte.
    »Komm rein, Harry. Komm rein.«
    Bosch betrat ein schön möbliertes Wohnzimmer. Der Fußboden war rote Eiche, und die verputzten Wände waren weiß und sauber. Die Möbel größtenteils aus weißem Rattan. Das Zimmer wirkte hell und freundlich, aber er wußte, daß er die Dunkelheit mitgebracht hatte.
    »Du heißt nicht mehr Meredith?«
    »Nein, schon lange nicht mehr, Harry.«
    »Wie soll ich dich nennen?«
    »Ich heiße jetzt Katherine. Mit einem K. Katherine Register. Es wird geschrieben wie das Amtsregister, aber ausgesprochen wie das Ree in Reefer. Mein Mann pflegte das zu sagen. Er war ein absolut braver Bürger. Abgesehen von mir hatte der gute Mann keinen Kontakt mit dem Illegalen.«
    »Er pflegte das zu sagen?«
    »Setz dich endlich, Harry. Ja, pflegte. Er ist letztes Thanksgiving vor fünf Jahren verschieden.«
    Bosch nahm auf dem Sofa Platz, und sie setzte sich auf den Sessel auf der anderen Seite des Couchtisches.
    »Entschuldige.«
    »Es ist okay, du kannst es ja nicht wissen. Du kanntest ihn schließlich nicht einmal, und ich bin seit langem eine andere Person. Kann ich dir etwas anbieten? Kaffee oder vielleicht etwas Stärkeres?«
    Ihm kam der Gedanke, daß sie ihm die Weihnachtskarte kurz nach dem Tod ihres Gatten geschickt hatte. Seine Gewissensbisse, darauf nicht geantwortet zu haben, meldeten sich wieder.
    »Harry?«
    »Oh, äh, nein danke. Ich … Soll ich dich bei deinem neuen Namen nennen?«
    Sie begann über die Komik der Situation zu lachen, und er stimmte in ihr Gelächter ein. »Du kannst mich nennen, wie du willst.« Ihr mädchenhaftes Lachen war das gleiche wie vor langer Zeit – er erinnerte sich wieder. »Es ist schön, dich zu sehen. Zu sehen, was aus … äh …«
    »Mir geworden ist?«
    Sie lachte wieder.
    »Ja. Ich wußte ja, daß du bei der Polizei bist, weil ich deinen Namen in der Zeitung gelesen hatte.«
    »Das dachte ich mir. Ich hab’ die Weihnachtskarte bekommen, die du zum Revier

Weitere Kostenlose Bücher