Der letzte Coyote
geschickt hast. Das muß kurz nach dem Tod deines Mannes gewesen sein. Es … äh … tut mir leid, daß ich nicht geantwortet oder dich besucht habe. Ich hätte es tun sollen.«
»Das ist okay, Harry. Ich weiß, daß du beruflich sehr beschäftigt bist und … Schön, daß du meine Karte bekommen hast. Hast du Familie?«
»Hm, nein. Und Du? Kinder?«
»O nein. Keine Kinder. Aber ein so gutaussehender Mann wie du hat sicher eine Frau, nicht wahr?«
»Nein, ich bin zur Zeit allein.«
Sie nickte. Sie schien zu spüren, daß er nicht hier war, um ihr seine Lebensgeschichte zu offenbaren. Einen Moment lang saßen sie da und schauten sich nur an, und Bosch fragte sich, was ihre wirkliche Meinung über seinen Beruf war. Die anfängliche Freude des Wiedersehens wurde von einem Gefühl der Unbehaglichkeit verdrängt, das hervorgerufen wird, wenn man an alte Geheimnisse rührt.
»Ich bin wohl …«
Er beendete seinen Satz nicht. Er suchte nach einem Anfangspunkt für das Gespräch. Sein routiniertes Können bei Vernehmungen ließ ihn im Stich.
»Weißt du, wenn es dir nicht zuviel Mühe macht, hätte ich gern ein Glas Wasser.«
Das war alles, was ihm einfiel.
»Ich bin gleich zurück.«
Sie stand schnell auf und ging in die Küche. Er hörte, wie sie Eis aus einer Schale nahm. Es gab ihm etwas Zeit, um nachzudenken. Er hatte eine Stunde gebraucht, um hierher zu fahren, aber er hatte sich nicht überlegt, wie es sein würde – oder wie er das Thema anschneiden sollte. Nach ein paar Minuten kam sie mit einem Glas Wasser zurück. Sie reichte es ihm und legte einen runden Korkuntersetzer auf die Glasfläche des Tisches.
»Wenn du hungrig bist, kann ich dir Cracker und Käse holen. Ich weiß nicht, wieviel Zeit du …«
»Nein, danke. Das Wasser reicht, danke.«
Er prostete ihr mit dem Glas zu und trank es halb aus. Dann setzte er es auf den Tisch.
»Harry, benutz den Untersetzer. Wasserringe ruinieren den Tisch.«
Bosch sah, was er getan hatte.
»Entschuldigung.«
Er korrigierte seinen Fehler.
»Du bist Detective.«
»Ja. Ich arbeite jetzt in Hollywood … Äh, im Moment arbeite ich allerdings nicht. Ich habe sozusagen Urlaub.«
»Ah, das ist gut.«
»Mer… Katherine, ich muß dir ein paar Fragen stellen.«
»Worüber, Harry?«
»Wenn ich mich hier umschaue, sehe ich, daß du ein schönes Heim hast, einen anderen Namen, ein anderes Leben. Du bist nicht mehr Meredith Roman – das brauch’ ich dir nicht zu sagen. Du hast … Ich meine, vielleicht ist es für dich schwer, über die Vergangenheit zu sprechen. Für mich ist es jedenfalls schwer. Glaub mir, ich will dir nicht weh tun.«
»Du bist hier, um über deine Mutter zu sprechen.«
Er nickte und betrachtete das Glas auf dem Korkuntersetzer.
»Deine Mutter und ich waren die besten Freundinnen. Manchmal glaube ich, ich war fast genausoviel an deiner Erziehung beteiligt wie deine Mutter. Bis sie dich ihr wegnahmen – uns wegnahmen.«
Er schaute sie wieder an. Ihr Blick war nach innen gerichtet – auf weit zurückliegende Ereignisse.
»Ich glaube, kein Tag vergeht, an dem ich nicht an sie denke. Weißt du, wir waren jung und hatten Spaß. Wir hätten nie geglaubt, daß uns etwas passieren könnte.«
Sie stand plötzlich auf.
»Harry, komm mit. Ich möchte dir etwas zeigen.«
Er folgte ihr einen mit Teppichen ausgelegten Flur entlang ins Schlafzimmer, in dem ein Pfostenbett mit hellblauer Bettdecke, eine Eichenkommode und dazu passende Nachttische standen. Katherine Register deutete auf die Kommode, wo mehrere Fotos in kunstvollen Rahmen standen. Die meisten zeigten Katherine und einen Mann, der auf den Fotos viel älter als sie aussah. Ihr Gatte, riet Bosch. Sie deutete jedoch auf ein Foto, das auf der rechten Seite stand. Es war alt, die Farben verblichen. Zwei junge Frauen mit einem kleinen Jungen von drei oder vier Jahren.
»Es stand schon immer hier, Harry. Sogar als mein Mann lebte. Er kannte meine Vergangenheit. Es spielte keine Rolle. Wir hatten dreiundzwanzig wunderbare Jahre zusammen. Weißt du, die Vergangenheit ist, was du aus ihr machst. Du kannst dir oder anderen damit weh tun, oder du kannst sie dazu benutzen, stark zu werden. Ich bin stark, Harry. Also erzähl mir, warum du heute zu mir gekommen bist.«
Bosch nahm das gerahmte Foto in die Hand.
»Ich will …« Sein Blick wandte sich von dem Foto zu ihr hin. »Ich werde herausfinden, wer sie umgebracht hat.«
Ihr Gesicht erstarrte einen Moment lang zu einem rätselhaften
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