Der letzte Coyote
Sound trug sie fort, und er bewunderte sie, daß sie sich so ganz in der Musik verloren hatte. Ein Mann, dem sie sich ganz hingeben würde, sähe dasselbe in ihrem Gesicht. Cops sagten von solch einem Gesicht, daß es besser als ein Fluchtauto sei. Es würde sie immer schützen. Egal was sie tat oder was man ihr antat, ihr Gesicht würde sie retten. Es würde Türen für sie öffnen und hinter ihr schließen – und sie entkommen lassen.
Der Song endete, sie öffnete die Augen und klatschte. Niemand hatte applaudiert, bis sie begann. Dann klatschte jeder in der Bar, Bosch eingeschlossen. So groß war die Macht ihres Gesichts. Bosch wandte sich um und gab dem Barkeeper ein Zeichen, ihm noch ein Bier und einen Whiskey zu bringen. Als die Getränke vor ihm standen, schaute er wieder zu der Frau hinüber, aber sie war weg. Er drehte sich um und sah noch, wie die Tür zufiel. Er hatte sie verpaßt.
8
U m nach Hause zu gelangen, fuhr er zum Sunset Boulevard hinauf und auf diesem zurück in die Stadt. Der Verkehr floß spärlich. Er war länger in Santa Monica geblieben, als er geplant hatte. Er rauchte und hörte einen Nachrichtensender im Radio. Es gab einen Bericht über die Wiedereröffnung der Grant High School im Valley. Sylvia hatte dort unterrichtet. Bevor sie nach Venedig gegangen war.
Bosch war müde und schätzte, daß er einen Alkoholtest wohl nicht bestehen würde, falls man ihn stoppte. Während der Sunset Boulevard sich durch Beverly Hills zog, fuhr er unterhalb des Tempolimits. Die Cops in Beverly Hills würden kein Auge zudrücken. Während seiner Suspendierung konnte er kein Protokoll brauchen.
Beim Laurel Canyon Boulevard bog er links ab und wand sich den Hügel hinauf. Am Mulholland Drive wollte er bei Rot rechts abbiegen und schaute gerade links nach anderen Autos, als er erstarrte. Ein Coyote kam aus dem Gebüsch längs eines ausgetrockneten Bachbettes und sah sich vorsichtig um. Kein anderer Wagen war da, nur Bosch sah ihn.
Das Tier war dünn und ausgemergelt vom Überlebenskampf in den Hügeln. Der Nebel, der aus dem Bachbett aufstieg, reflektierte die Straßenbeleuchtung und warf ein schwach blaues Licht auf den Coyoten. Für einen Moment schien er Bosch zu betrachten, seine Augen reflektierten das Stopplicht und glühten. Einen Augenblick lang glaubte Bosch, daß er ihn direkt ansah. Dann drehte er sich um und verschwand wieder in den blauen Nebelschwaden.
Ein Auto kam von hinten und hupte. Bosch hatte Grün. Er winkte und bog in den Mulholland Drive ein. Dann hielt er jedoch am Straßenrand an und stieg aus.
Der Abend war kühl und ihn fröstelte leicht, während er über die Kreuzung zu der Stelle ging, wo er den Coyoten gesehen hatte. Er war sich nicht sicher, was er tat, hatte aber keine Angst. Er wollte nur das Tier wiedersehen. Am Rand des Bachbettes hielt er inne und schaute ins Dunkle hinunter. Der blaue Nebel umhüllte ihn ganz. Ein Wagen fuhr hinter ihm vorbei, und als das Geräusch sich entfernte, horchte und schaute er angestrengt. Nichts war zu sehen. Der Coyote war verschwunden. Er ging zurück zu seinem Auto und fuhr zum Woodrow Wilson Drive und dann nach Hause.
Später, als er nach ein paar weiteren Drinks im Bett lag und die letzte Zigarette des Abends rauchte, starrte er zur Decke. Er hatte das Licht angelassen. Seine Gedanken jedoch kreisten um die Dunkelheit, die heilige Nacht, den blauen Coyoten und die Frau mit dem Gesicht, das sie unantastbar machte. Bald verschwanden alle seine Gedanken mit ihm in der Dunkelheit.
9
B osch schlief wenig und war vor Sonnenaufgang wieder auf den Beinen. Die letzte Zigarette am Abend zuvor wäre beinahe die letzte seines Lebens gewesen. Er war beim Rauchen eingeschlafen und wurde von dem scharfen Schmerz der Verbrennung aus dem Schlaf gerissen. Nachdem er die Brandwunden an beiden Fingern verbunden hatte, versuchte er wieder einzuschlafen. Ohne Erfolg. Seine Finger pochten, und die ganze Zeit mußte er an die zahlreichen Fälle denken, die er gesehen hatte, bei denen betrunkene Pechvögel eingeschlafen waren und sich eingeäschert hatten. Er fragte sich, was Carmen Hinojos von seiner Nummer halten würde. Gab es ein noch deutlicheres Symptom von Selbstzerstörung?
Als das Morgengrauen mit seinem Licht ins Zimmer drang, gab er endlich auf und erhob sich. Während der Kaffee in der Küche aufgebrüht wurde, ging er ins Badezimmer und verband die Wunden neu. Beim Festkleben des Verbandmulls erblickte er sich im Spiegel und sah die
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