Der letzte Coyote
Gesichter, konnte aber Gordon Mittel nicht entdecken. Keine Spur. Eine Menschentraube hatte sich in der Mitte versammelt, und Bosch begriff, daß es Leute waren, die dem Kandidaten die Hand geben wollten – oder zumindest dem Mann, den Bosch für Shepherd hielt. Harry stellte fest, daß sie alle gleichermaßen reich schienen, sich altersmäßig jedoch unterschieden. Er schätzte, daß viele von ihnen genauso dringend Mittel wie Shepherd treffen wollten.
Eine der Frauen in Schwarz und Weiß kam mit einem Champagnertablett unter dem weißen Zeltdach hervor und schritt auf ihn zu. Er nahm ein Glas und dankte ihr. Dann wandte er sich wieder der Aussicht zu und nippte am Glas. Er nahm an, daß der Champagner von höchster Qualität war, obwohl er selbst den Unterschied nicht schmecken konnte. Er hatte sich gerade entschlossen, auszutrinken und zu gehen, als er eine Stimme von links hörte.
»Wunderbare Aussicht, nicht wahr? Besser als ein Film. Ich könnte hier stundenlang stehen.«
Bosch drehte den Kopf zur Seite, wie um die Anwesenheit des Sprechers zur Kenntnis zu nehmen, sah ihn aber nicht an. Er wollte nicht in ein Gespräch verwickelt werden.
»Ja, es ist schön. Aber ich ziehe meine Berge vor.«
»Wirklich? Wo ist das?«
»Auf der anderen Seite. Woodrow Wilson Drive.«
»O ja, da gibt es auch ein paar schöne Grundstücke.«
Meines gehört nicht dazu, dachte Bosch. Es sei denn, Sie mögen neoklassisches Erdbeben-Ambiente.
»Die San Gabriel Mountains leuchten fantastisch in der Sonne«, sagte der Mann. »Ich habe mich dort auch umgesehen, aber dann doch hier gekauft.«
Bosch drehte sich um und schaute Gordon Mittel an. Der Gastgeber streckte seine Hand aus.
»Gordon Mittel.«
Bosch zögerte. Aber Mittel war es wohl gewohnt, daß er Leute sprachlos machte oder zum Stottern brachte.
»Harvey Pounds«, sagte Bosch und reichte ihm die Hand.
Mittel trug einen schwarzen Smoking. Im Gegensatz zu Bosch, war er sogar noch feiner als die Gäste angezogen. Sein graues Haar war kurz geschoren, und seine Bräune kam von der Sonnenbank. Er war schlank, voll angespannter Energie, wie ein Gummiband um einen Packen Hunderter, und sah fünf bis zehn Jahre jünger aus als er war.
»Es freut mich, Sie kennenzulernen. Schön, daß Sie kommen konnten«, sagte er. »Haben Sie Robert schon gesprochen?«
»Nein, er steht dort mitten in einer Gruppe.«
»Ja, das ist wahr. Er wird sich freuen, Sie kennenzulernen, wenn sich die Möglichkeit ergibt.«
»Wahrscheinlich wird er sich auch über meinen Scheck freuen.«
»Das auch.« Mittel lächelte. »Aber ernsthaft. Er kann uns helfen. Er ist ein guter Mann, und wir brauchen Leute wie ihn.«
Sein Lächeln war so fadenscheinig, daß Harry sich fragte, ob Mittel wußte, daß er keine Einladung hatte. Bosch lächelte zurück und klopfte sich rechts auf die Brust seines Jacketts.
»Ich habe mein Scheckbuch dabei.«
Ihm fiel ein, was er wirklich in der Tasche hatte, und hatte eine Idee. Der Champagner – auch wenn es nur ein Glas war – machte ihn waghalsig. Er wollte versuchen, Mittel aus der Fassung zu bringen. Vielleicht würde er sein wahres Gesicht zeigen.
»Ist Shepherd wirklich der richtige Mann?« fragte er.
»Ich verstehe Sie nicht ganz.«
»Wird er eines Tages im Weißen Haus sitzen? Ist er derjenige, der Sie ganz nach oben bringen wird?«
Mittel runzelte die Stirn, vielleicht als Zeichen, daß er leicht verstimmt war.
»Wir werden sehen. Zuerst muß er in den Senat. Das ist im Moment das Wichtigste.«
Bosch nickte und tat so, als studiere er die Menge.
»Nun, es sieht aus, als ob Sie die richtigen Leute eingeladen hätten. Ich sehe jedoch Arno Conklin nicht. Sind Sie noch mit ihm befreundet? Er war Ihr erster, nicht wahr?«
Eine tiefe Falte zog sich jetzt über Mittels Stirn.
»Nun …« Mittel schien sich unbehaglich zu fühlen – aber nur für einen Moment. »Ehrlich gesagt, ich habe schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen. Er ist jetzt im Ruhestand, ein alter Mann im Rollstuhl. Kennen Sie Arno?«
»Ich habe noch nie mit ihm gesprochen.«
»Warum fragen Sie dann nach solch alten Geschichten?«
Bosch zuckte mit den Achseln.
»Ich studiere Geschichte, das ist alles.«
»Auf welchem Gebiet sind Sie tätig, Mr. Pounds? Oder sind Sie als Vollzeitstudent eingeschrieben?«
»Recht.«
»Dann haben wir etwas gemeinsam.«
»Das bezweifle ich.«
»Ich war an der Stanford Universität. Und Sie?«
Bosch dachte einen Moment nach.
»Vietnam.«
Mittel
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