Der letzte Coyote
Mann mit einer Tüte aus dem Pornoladen kam und schnell zu seinem Wagen lief, der am Ende der Gasse stand.
Bosch erinnerte sich an die Zeit, als er ein kleiner Junge war und noch mit seiner Mutter zusammenlebte. Sie hatten damals ein winziges Apartment auf dem Camrose Drive. Im Sommer saßen sie oft hinten im Garten – an den Abenden, an denen sie nicht arbeitete, oder an Sonntagnachmittagen. Dort hörten sie der Musik zu, die von der Hollywood Bowl über den Hügel zu ihnen getragen wurde. Aber nicht die Musik war es, die ihm besonders gefiel, sondern die Gegenwart seiner Mutter – die Zeit, die sie miteinander verbrachten. Sie sagte oft, daß sie mit ihm eines Tages zur Bowl gehen würde, um ›Sheherazade‹ zu hören. Es war ihr Lieblingsstück. Dazu kam es nicht mehr. Das Gericht entzog ihr das Sorgerecht, und sie war tot, bevor sie ihren Sohn wiederbekommen konnte.
Bosch hörte schließlich ›Sheherazade‹, gespielt von der Philharmonie, in dem Jahr, in dem er mit Sylvia zusammen war.
Sie dachte, daß die Tränen in seinen Augen von der reinen Schönheit der Musik herrührten. Er hatte ihr nie den wahren Grund erzählt.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, daß sich etwas bewegte. Dann klopfte jemand mit der Faust auf das Seitenfenster. Seine Hand fuhr instinktiv unter die Jacke, fand aber keine Waffe. Er drehte sich um und sah eine alte Frau, der die Jahre tiefe Falten ins Gesicht gekerbt hatten. Sie schien drei Schichten von Kleidern zu tragen. Als sie aufhörte zu klopfen, streckte sie ihre Hand geöffnet aus. Noch ganz aufgeschreckt griff Bosch in die Tasche und zog einen Fünfer heraus. Er ließ den Motor an, damit er das Fenster herunterlassen konnte, und gab ihr das Geld. Sie nahm es wortlos und ging. Bosch sah ihr nach und fragte sich, wie sie in dieser Gasse gelandet war.
Und er?
Bosch fuhr aus dem Gäßchen zurück zum Hollywood Boulevard. Wieder ließ er sich ziellos in der Gegend herumtreiben. Dann kam ihm jedoch ein Gedanke. Er war noch nicht bereit, Conklin oder Mittel gegenüberzutreten, aber er wollte sehen, wie sie wohnten, wie sie lebten, wozu sie es gebracht hatten.
Er blieb auf dem Boulevard bis zur Alvarado Street, fuhr südlich bis zur Third Street, dann nach Westen. Die Fahrt ging von einem ärmlichen Viertel, das Little Salvador genannt wurde, über den alten Villen von Hancock Park und dann nach Park La Brea, einem riesigen Komplex von Apartments, Eigentumswohnungen und Pflegeheimen.
Bosch erreichte den Ogden Drive und fuhr langsam, bis er das Park La Brea Lifecare Center fand.
›Lifecare‹, das war wohl ein Witz. Hier sorgte man sich wahrscheinlich nur, daß die Leute starben, damit man ihre Wohnung dem nächsten verkaufen konnte.
Es war ein unauffälliges, zwölfstöckiges Gebäude aus Beton und Glas. Durch die Glasfassade der Eingangshalle sah Bosch einen Wachmann. In dieser Stadt waren sogar die Alten und Schwachen nicht sicher. Er sah an der Fassade hoch und stellte fest, daß die meisten Fenster dunkel waren. Erst neun Uhr und schon wie ausgestorben. Jemand hupte hinter ihm, und er gab wieder Gas. Er fragte sich, wie Conklin lebte. Ob der alte Mann in seinem Zimmer nach so vielen Jahren noch manchmal an Marjorie Lowe dachte?
Seine nächste Station war Mount Olympus, eine Ansammlung von geschmacklosen Häusern im römischen Stil in den Hügeln von Hollywood. Die Architektur war angeblich neoklassisch, er hatte jedoch mehr als einmal die Bezeichnung neokitschig gehört. Die riesigen, teuren Häuser standen dicht nebeneinander.
Bosch bog vom Laurel Canyon Boulevard auf den Mount Olympus Drive, fuhr zum Electra Drive und erreichte schließlich den Heranies Drive. Er fuhr langsam und schaute auf den Bordsteinen nach der Hausnummer, die er am Morgen in sein Notizbuch geschrieben hatte.
Als er vor Mittels Haus anhielt, war er wie vor den Kopf geschlagen. Er kannte das Haus. Zwar war er nie drinnen gewesen, aber jeder kannte es. Es war eine kreisförmige Villa auf einem der sichtbarsten Vorsprünge der Hollywood Hills. Bosch betrachtete das Gebäude mit Ehrfurcht und stellte sich vor, wie groß es innen sein mußte und welche Aussicht man von den Bergen bis zum Ozean haben würde. Die runden Außenwände wurden weiß angestrahlt. Es sah aus wie ein Raumschiff, das hier gelandet war, bereit, wieder abzuheben. Klassischer Kitsch war dies nicht. Es war ein Symbol der Macht und des Einflusses des Besitzers.
Am Fuß einer langen Auffahrt, die den Hügel hinauf zum Haus
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