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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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die Fingerspitzen auf und spürte sie im Kopf. Eine totale, umfassende Müdigkeit.
    »Ich will dich vor allem beschützen«, sagte der Kleine, »aber jetzt rück erst die Dinge an ihren Platz.«
    Der Drache nickte. Er legte die Schnauze auf den mittleren Teil des großen Steins und schob mit aller Kraft.
    Es ging langsam voran: Schritt für Schritt, aber vor dem Abend war der Krater geschlossen.
    Der Jäger und der Kleine schoben auch mit an. Die Frau röstete Bohnen und Maiskolben. Ein Duft von Wärme und leckerem Essen verbreitete sich überall. Der Hund hatte sich auf einem Teppich aus samtweichen Bohnenschoten ausgestreckt und döste vor sich hin.
    Yorsch begann wieder zu sprechen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich stark, wusste, was er zu tun hatte, warum und wie er es zu tun hatte.
    »Ich bleibe bei dir und gehe Nahrung sammeln«, versprach der Kleine. »Magst du Maiskolben? Ja? Sehr gut. Ich habe noch ein paar bei mir. Während wir die Bohnen aufessen, säen wir Maiskörner aus und legen hier vorn ein Maisfeld an. Der gedeiht auch ohne Wärme und Dampf. Und dann lesen wir. Du wirst sehen, wie schön das wird.
    Ich glaube, das ist der Kreis, den wir durchbrechen müssen: Wasser verdampft, wird zu Wolken, aus denen fällt Regen und das ist wieder Wasser. Jetzt ist der Kreis durchbrochen: Ich bleibe bei dir und sorge dafür, dass du nicht verhungerst.«
    Der Drache schien entzückt.
    Er nickte glücklich.
    Er ließ sich noch einmal die Maiskolben zeigen und die Geschichte ihres Anbaus erklären. Dann weinte er wieder ein bisschen, aber diesmal vor Freude, und schließlich rückte er mit den merkwürdigsten Dingen heraus, die sie an diesem Tag zu hören bekamen. Er sagte, auch der andere Elf, ein großer, der vor einiger Zeit hier vorbeigekommen sei, habe ihm gesagt, er solle den Krater geschlossen halten, weil er fürchtete, das könne die Ursache für die Dunkelheit und den Regen sein, und auch er habe angeboten, ihm zu helfen und ihn zu ernähren. Doch nach einigen Tagen sei der Elf höchst vergnügt wieder fortgezogen und habe ihm gesagt, den Krater könne er auch offen lassen, wenn er wolle, das wäre gut für seine Bohnen. Ja, vielleicht war das sogar besser, mit der Rauchfahne oben, so war der Weg leichter zu finden, für seinen Sohn, der früher oder später ebenfalls hierhinkommen würde, um seine Bestimmung zu erfüllen. Er, der arme Drache, habe ihm geglaubt. Er hatte den Krater wieder geöffnet und mit dem warmen Dampf weitergelebt. Als sie jetzt jedoch ans Tor geklopft hätten, war ihm diese ganze Geschichte wieder eingefallen, die Angst, angeklagt zu werden, alles … und so…
     
     
    Das Schweigen, das nun eintrat, war furchtbar.
    Das einzige Geräusch kam vom Wedeln des Hundes, der vor lauter Freude, endlich im Warmen zu sein und auf einem Teppich aus Bohnenschoten zu liegen, unentwegt mit dem Schwanz gegen einen Stalagmiten schlug, was kleine Wölkchen von Spinnweben und Staub aufwirbelte.
    Der kleine Elf hielt die Luft an.
    Sein Vater war hier gewesen.
    Sein Vater war hier gewesen, hatte die Gelegenheit gehabt, die Finsternis auf Erden zu beenden, der Welt das rechte Maß an Regen und Sonne wiederzugeben, Hunger und Elend in der Welt zu beenden, und er hatte es nicht getan.
    Das war furchtbar, grauenhaft, schrecklich, unvorstellbar, unsäglich, unglaublich …
    »Unfasslich«, sagte die Frau.
    »Entsetzlich«, bestätigte der Mann.
    Der kleine Elf machte eine der widerwärtigsten Empfindungen durch, die es gibt auf der Welt: sich für die eigenen Vorfahren schämen zu müssen.
    Seine Gesichtszüge entglitten ihm.
    Seine Augen wurden schmal, seine Seele füllte sich mit Schmerz und die Zauberkraft ertrank darin. Nicht einmal eine Fliege hätte er jetzt wieder zum Leben erwecken können.
    »Warum?«, fragte die Frau.
    »Na ja, wie soll man denn Schönwetterkessel für drei Goldstücke verkaufen, wenn auf der Welt die Sonne scheint? Die Elfen haben sich doch immer aufs Geschäftemachen verstanden, oder nicht?«, antwortete der Jäger. Kalte Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben und schwang in seiner Stimme. Mit großen Schritten durchmaß er die Höhle vor und zurück. Er versetzte dem Feuer einen Tritt, sodass Bohnen und Maiskolben in alle Richtungen flogen. Der Hund hörte auf zu wedeln und winselte erschrocken.
    »Jahre des Elends, Jahre des Hungers, der Finsternis und der Verzweiflung, nur wegen eines bescheuerten Drachen und eines Elfen, er... der...« Der Jäger suchte nach

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