Der letzte Elf
Sterne. Hier ein Stückchen Sonnenuntergang, da ein Zipfel Morgenröte hatten sich blicken lassen, nach Jahren des Regens und der tief hängenden Wolken.
Klarer als die astronomischen Erklärungen waren die sprachlichen Erläuterungen. Die Sprache der zweiten Runendynastie ist besonders genau.
ERST WENN DER LETZTE ELF UND DER LETZTE DRACHE
EINANDER FINDEN
UND SICH VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT VERBINDEN,
WERDEN DIE MENSCHEN IHR SCHICKSAL ÜBERWINDEN.
Wenn und nicht weil . In der zweiten Runendynastie bedeutet wenn so viel wie im selben Moment, gleichzeitig ; weil dagegen bezeichnet eine Kausalität: da, infolge von . Die beiden Dinge würden ganz einfach zum selben Zeitpunkt eintreten. Nicht eines infolge des anderen. Und der Kreis, den der Kleine und der Drache durchbrechen mussten, war nicht der Kreislauf von Wasser, Dampf, Wolke, Regen und wieder Wasser, sondern ein anderer Kreis: der des Horizonts, der dich einschließt, und in seinem Inneren bist nur du allein. Der Kreis der Einsamkeit. Der kleine Elf musste dem letzten Drachen begegnen, um Vergangenheit und Zukunft zusammenzuschließen: Das Wissen der glorreichen Vergangenheit der Menschheit, als Wissenschaft und Erkenntnis noch das Leben bestimmten, bergen und für die Zukunft retten. Es war alles so klar... so schön... und sein Vater hatte alles verstanden und hatte eine Spur gelegt, der er folgen konnte, wie ausgestreute Kieselsteine, die im Mondlicht glänzen.
»Und der Schönwetterkessel?«, fragte der Jäger.
»Das ist ein ganz normaler Räucherkessel. Die Wetterbesserung würde sich in der Nähe der Schattenberge zuerst bemerkbar machen, weil man hier vor den Westwinden geschützt ist. Das hatte mein Vater vorhergesehen.«
»Einen Räucherkessel für drei Goldstücke zu verkaufen, heißt in der Menschensprache Betrug«, bemerkte der Mann trocken und konnte nur um ein Haar einem Tritt vors Schienbein ausweichen, er setzte sich bequem auf einen in den Felsen gehauenen Sitz.
»In der Elfensprache heißt das Genie«, erwiderte der Kleine munter, »nicht nur weil mein Vater mir damit das Mittel in die Hand gegeben hat, hierherzugelangen, sondern weil er den Leuten, indem er ihnen den Kessel teuer verkaufte, Eintracht geschenkt hat. Überzeugt, es handle sich um irgendeine höhere Magie, die ihnen außer Schönwetter auch Frieden bescheren würde, haben sie aufgehört, sich gegenseitig zu verprügeln, und das ist viel mehr wert als ein bisschen Gold. Die geheime Losung des Handels lautet: Wenn du etwas, was keinen Preis hat, teuer bezahlst, hast du in jedem Fall ein Geschäft gemacht. Ich glaube, der Dorfälteste hat das auch begriffen.«
Langes Schweigen, dann begann der Mann zu lachen. Ein langes, befreiendes Lachen. Die Frau brach in Tränen aus und umarmte den Kleinen lang, drückte ihn fest an sich, um sich später daran erinnern zu können.
»Vielleicht begegnen wir uns ja wieder«, sagte der Kleine voller Zuversicht. Vielleicht würde er ihnen wieder begegnen, aber jetzt mussten sie sich trennen. Die beiden mussten ihr Leben leben und das bedeutete Felder, Wiesen, Gänse großziehen, vielleicht Kinder bekommen, bestimmt nicht Bücher und goldene Bohnen. Er hatte geschworen, bei dem Drachen zu bleiben. Traurigkeit erfüllte ihn, und die Globen, die sich in der Luft schwebend drehten, rollten sanft auf den Boden. Der Hund spielte mit einem davon.
»Früher oder später wird das geschehen«, sagte der Frau.
Lang hielten sie sich so umschlungen, während die Sonne immer höher hinaufstieg und die Bibliothek immer mehr von goldenem Licht durchflutet wurde. Die Bohnen funkelten wie Geschmeide zwischen den alten Regalen.
»Ich möchte dem Hund einen Namen geben«, sagte Yorschkrunsquarkljolnerstrink.
Sajra drückte ihn noch fester an sich.
»Aber sicher.«
Yorschkrunsquarkljolnerstrink war aufgeregt. Voller Stolz warf er sich in die Brust.
»TREU«, sagte er triumphierend.
»Treu?«, fragte der Jäger. »Treu? Hunde heißen Langohr, Fleck oder Pfote oder einfach Hund. Treu ist ein komischer Name für einen Hund, verrückt. Er wird bestimmt der erste und der letzte Hund sein, der so heißt...«
Er konnte nicht zu Ende sprechen. Der übliche Tritt vors Schienbein schnitt ihm das Wort ab.
»Das ist ein wunderschöner Name«, sagte Sajra, »er passt sehr gut.«
Sie blieben noch ein bisschen umschlungen stehen, dann noch ein bisschen und noch ein bisschen.
Schließlich machten sie sich voneinander los. Sie sahen sich ein letztes Mal an und sagten
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