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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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der Name hat nie zu ihm gepasst.«
    Mona wartete, ob da noch mehr kommen würde.
    »Du kannst jetzt gehen.«
    Mona schloss die Tür hinter sich, und als drei Tage später das Haus der Kormorane in Flammen aufging, ahnte niemand von den Bewohnern, dass die Farbe einer Blume der Auslöser dafür war.
    Tulli Marsden trat hinter den Felsen hervor und lachte, als das Mädchen erschrocken vor ihm zum Stehen kam.
    »Was jetzt?«, fragte er. »Was machst du jetzt?«
    Mona zögerte nicht und lief ins Wasser. Tulli beobachtete, wie sie versuchte rauszuschwimmen, was lächerlich aussah. Die Wellen spielten mit ihr und schoben sie zurück, als wäre sie Treibholz. Tulli wusste, wenn er eine Weile wartete, würde die Kleine wieder an Land geschwemmt werden. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Die Mission sollte in zehn Minuten abgeschlossen sein. Es war keine gute Idee, Zeit zu verschwenden.
    Der Söldner nahm sein Schulterholster ab und legte es mitsamt Waffe auf einen Felsen. Danach watete er ins Wasser und packte das Mädchen um die Hüfte. Er hob sie hoch, ignorierte ihr Gezappel und war dabei, sie an Land zu tragen, als ihr Knie zufällig sein Kinn traf. Tulli ließ das Mädchen fluchend fallen und wischte sich über den Mund. Er sah das Blut auf seinem Handrücken und spuckte einen Schneidezahn aus.
    Das Mädchen lag auf dem Rücken im flachen Wasser und sah erschrocken zu ihm hoch. Tulli hatte ihr nichts mehr zu sagen. Er beugte sich vor und drückte seine rechte Hand auf ihre Brust. Er hielt das Mädchen unter die Wasseroberfläche, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu nehmen. Die Wut ließ seine Wangenmuskeln zittern. Das Mädchen schlug und trat um sich, doch das Wasser dämpfte ihre Bewegungen und machte sie nutzlos. Sie tat, was sie konnte, aber sie kam nicht frei. Der Druck auf ihrer Brust war zu groß, die Schläge gegen Tullis Arm waren zu schwach. Der aufgewühlte Sand ließ ihr Gesicht verschwinden. Ein Schrei löste sich aus ihrem Mund und verklang lautlos. Dann hörte das Mädchen auf, sich zu bewegen, der Sand setzte sich ab, ihr Gesicht wurde wieder sichtbar. Die Augen standen offen, Sandkörner schwebten auf die Pupillen nieder, der Mund war ein klaffender Spalt. Mona hatte aufgehört zu sein und setzte sich im Bett auf.
    Und saß da.
    Und beobachtete das flackernde Licht, das vom Feuer über die Wände geworfen wurde. Und sah die Flügel, die von der Decke hingen. Und saß da und dachte für einen Moment, sie sei wieder in Jasmins Erinnerung.
    Aber Jasmin ist tot.
    Der Gedanke war ernüchternd und schmerzte. Das hier war anders als alles, was sie durch Jasmins Augen gesehen hatte, denn das hier gehörte …
    … mir?
    Ich bin in meiner Erinnerung, dachte Mona, als die Erinnerung sie auch schon mit Informationen überflutete.
    … das Meer ist zwei Tagesritte entfernt, der Ruf der Nachtwache hat eben den Morgen angekündigt, das Lager ist still, bald werden wir marschieren, es ist die richtige Zeit, der Mond wendet sich ab, wir sind vorbereitet, die Männer warten auf meine Befehle und ich weiß, was ich …
    Mona schüttelte den Kopf, um die Gedankenflut zu klären. Sie sah sich um und erkannte die Umgebung und erkannte ihre Kleidung. Alles war ihr vertraut, sie wusste nur nicht, wer sie war. Da waren Gedanken, und die Gedanken gehörten einer Frau, und die Frau war eben erwacht und saß in einem Feldbett, und Mona wusste, dass Krieg herrschte und dass der Krieg zu einem Ende kommen musste.
    Heute?
    Heute.
    Die Frau stand auf und streckte sich. Ihr Körper war von den Füßen bis zum Hals mit haarfeinen Schriftzeichen tätowiert. Sie leuchteten im Licht des Feuers matt wie Elfenbein. Nur ihr Gesicht war davon unberührt. Die Frau band ihr Haar zurück und legte die Flügel an. Das Geschirr hing an einem Haken von der Zimmerdecke und war aus Hirschleder gefertigt. Mona erkannte den Geruch und wusste, dass die Frau das Leder selbst gegerbt hatte. Zwei Monate Arbeit. Besondere Mühe hatte sie sich geben müssen, um die Armriemen weichzubekommen, weil sie die Haut sonst wieder wundgerieben hätte. Es war das dritte Geschirr, das sie gebaut hatte. Jetzt passte es.
    Die grauweißen Federn waren sorgfältig in das Leder eingewoben und mit einer Energie geladen, die Monas Hände bei jeder Berührung prickeln ließ. Für Sekunden vergrub sie ihr Gesicht in dem Gefieder und roch den Duft, dann legt sie das Geschirr an und zog es unter ihrer Brust fest. Sie prüfte die Riemen, hob die Schultern und ließ sie fallen.

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