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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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nicht mehr schlug, und seit dreißig Sekunden wartete ich darauf, dass mein bester Kumpel ans Handy ging. Und es klingelte und klingelte am anderen Ende. Der Blödmann hatte nicht einmal die Mailbox eingeschaltet. Mir war zum Heulen, tief in meinem Inneren war ich so elendig traurig, dass ich einfach nur losheulen wollte, da klickte es in der Leitung und Lars sagte:
    »Du dachtest bestimmt, ich wäre nicht da, was?«
    »Lars, du musst sofort kommen.«
    »Was? Mann, ich hab mir grad ’ne Pizza aus dem Ofen ge –«
    »Sofort, Lars!«
    Ich legte auf. Ich wusste, Lars würde in fünfzehn Minuten hier sein. So war er und so war ich. Treu. Ich starrte auf die Mail. Die Flügel auf meinem Rücken zuckten leicht. Ich starrte einfach nur auf die Mail und fühlte mich verloren.
    Lars kam zehn Minuten später. Ich saß verkehrt herum auf meinem Arbeitstuhl und hatte die Arme über die Lehne gelegt. Die Flügel berührten den Teppich, ich spürte den sanften Widerstand. Vor mir auf dem Boden lagen meine Klamotten, und ich dachte darüber nach, ob ich jemals wieder ein T-Shirt tragen würde. Ich fragte mich eine Menge Sachen, aber nichts ergibt wirklich Sinn, wenn das Herz nicht mehr schlägt. Das Klopfen an der Tür ließ mich zusammenschrecken. Für einen Moment glaubte ich, es wäre mein Vater.
    »Motte?«
    Die Klinke wurde runtergedrückt, aber die Tür blieb zu. Ich war ja kein Idiot. Ich stand auf, drehte den Schlüssel und öffnete die Tür einen Spalt. Lars hatte die Hände in den Vordertaschen seiner Bermudashorts vergraben und trug ein Ghinzu- T-Shirt und Sandalen. Es hätte schlimmer sein können. Im letzten Sommer hatte er sich Rastalocken wachsen lassen, weil Fanni Rastalocken plötzlich lässig fand. Es ging mächtig schief. Lars sah den ganzen Winter über aus wie ein Wischmopp, der sich in einen Häcksler verliebt hatte. Seit dem Frühjahr sind seine Haare wieder kurz.
    »Mann, siehst du scheiße aus«, begrüßte mich mein bester Freund.
    »Du hast den Rest noch nicht gesehen«, sagte ich und ließ ihn ins Zimmer.
    Fünf Minuten später lag Lars auf dem Boden.
    Anfangs lief alles prima. Lars hatte die Flügel gesehen und bewundernd gepfiffen. Er hatte gesagt, das wäre ja wohl das Genialste, was es überhaupt geben würde, und wollte wissen, wie ich das mal wieder hingekriegt hätte. Während ich ihm von der Mail und meiner Nacht erzählte, machte Lars den Fehler und berührte meine Flügel. Sofort wurde er kalkweiß im Gesicht, und sein kurzes Haar stellte sich auf, als hätte er einen Stromschlag bekommen. Seitdem lag Lars japsend auf dem Boden und wartete, dass der Raum aufhörte, sich zu drehen.
    »Meine Hände sind taub«, sagte er und sah auf seine Hände. »Scheiße, meine Hände sind taub!«
    Ich wollte ihm aufhelfen. Lars wich zurück.
    »Halt bloß Abstand!«
    Er zog sich am Stuhl hoch, schüttelte Arme und Beine aus, schielte auf meine Flügel und dann an mir vorbei zum Monitor.
    »Ist das die Mail?«
    Ich nickte, Lars ging um mich herum und setzte sich an den Schreibtisch. Er las die Mail, sah mich an und fragte:
    »Tot?«
    »Da ist nichts mehr«, sagte ich und zeigte auf mein Herz.
    Lars drückte auf meiner Brust herum, dann griff er sich mein Handgelenk und suchte den Puls.
    »Aber du sprichst und denkst«, sagte er. »Vielleicht ist es nicht zu spät.«
    »Zu spät wofür?«
    »Wir könnten dich ins Krankenhaus bringen. Vielleicht fängt dein Herz wieder an zu schlagen, sobald sie dir die Flügel abschneiden.«
    Ich sah ihn an, als hätte er mir eine gescheuert.
    »Sag mal, wie alt bist du eigentlich?«
    Lars wusste, dass ich wusste, wie alt er war, also murmelte er, das wäre doch bloß ein Vorschlag gewesen. Ich stand verloren vor ihm und fühlte mich elendig und sprach es so langsam aus, als würde ich hoffen, dass mir jemand die Worte wieder in den Mund zurückschob.
    »Ich bin tot, Lars, und ich bin ein …«
    Ich verstummte, Lars beendete den Satz für mich.
    »… Engel?«, sagte er leise.
    »Mist auch«, sagte ich und heulte los.
    Minuten später saß ich wieder verkehrt herum auf dem Stuhl und hatte mich beruhigt. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so sehr geheult hatte. Mein bester Kumpel meinte, das wären die Hormone. Ich grinste müde.
    Lars stellte sich hinter mich und besah sich meine Flügel, ohne sie zu berühren.
    »Sie wachsen an den Stellen, an denen deine Schulterblätter sein sollten«, sagte er. »Heb mal die Arme.«
    Ich hob die Arme. Lars schwieg. Und

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