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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Biologen, die vor einigen Jahren von der Bildfläche verschwanden. Sie kommen aus der ganzen Welt, sie glauben alle nur an das eine – die Jungs. Du hasst sie dafür mit einer Leidenschaft, die nicht in Worte zu fassen ist. Und du hasst ihre Naivität und ganz besonders ihre unermüdliche Hoffnung.
    Die Leichen der Hüter sind im Schlafsaal an der einen Wand aufgebahrt, die Jungen liegen ihnen gegenüber. Deine Männer haben sie zugedeckt. Ihre Körper sind unscheinbare Formen, die an die Schneeverwehungen erinnern, die du auf der Herfahrt gesehen hast.
    »Wartet draußen«, sagst du.
    Deine Männer lassen euch allein. Leopold hockt sich vor die Jungen, Ellenbogen auf den Knien, konzentriert. Sein schwarzes Haar schimmert bläulich im schwachen Deckenlicht. Du kannst die Muskeln an seinem Hals hervorstehen sehen. Sie arbeiten, als würde er ein Gewicht stemmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit richtet sich Leopold auf und sieht dich an.
    »Der Keller?«, sagt er.
    »Der Keller«, sagst du.
    Der Keller hat dieselbe Bauweise wie in all den anderen Häuser. Du hast die Katakomben in Rom und Paris studiert, du hast eine Woche in Odessa verbracht, denn du wolltest verstehen, warum sie die Toten in Grabkammern legen und nicht vergraben. Es war verschwendete Zeit. Du hast keine Antwort gefunden.
    So was wie die Katakomben der Familie gibt es nicht noch einmal.
    Ihr betretet den Tunnel. Es ist wie damals, es ist immer wie damals. Dieselben Schriftzeichen und eine Jahreszahl, die mit bunten Mosaiksteinen in die Decke eingelassen ist.
    Ihr bleibt im ersten Gewölbe stehen.
    Verkrümmte Skelette, denen man die Schmerzen ansehen kann. Auswüchse an Armen, verwachsene Wirbelsäulen und Ansätze von verkümmerten Flügeln.
    Der Anblick widert dich an und erinnert dich an die vier Tage, die du selbst in so einer Nische verbracht hast. Dich widert der Geruch und die Stille an. Und ganz besonders das Wissen, was hier passiert ist. Wie lange steht das Haus schon? Fünfzig, lass es hundert Jahre sein. Wie viele Generationen wirst du hier unten vorfinden?
    Du willst es nicht wirklich wissen.
    Du schaust an die Decke.
    1862.
    Sieben.
    Im hintersten Gewölbe liegen die Leichen der letzten Generation. Cedric hält Abstand, während du mit Leopold die Körper untersuchst. Ihr seid nur ein paar Tage zu spät gekommen. Leopold schätzt, dass der letzte Junge gestorben sein muss, als ihr eure Vorbereitungen gerade abgeschlossene habt. Du wendest den Blick ab, du fühlst dich verantwortlich für ihr Leiden.
    Cedric betritt das Gewölbe und meldet, dass sie einen zweiten Durchgang entdeckt hätten. Er führt euch den Tunnel zurück zu einer verborgenen Stahltür. Ihr zögert nicht lange und brecht sie auf. Ihr steht in einem Flur. Du kennst dich aus. Die Laboratorien sind wie die Häuser alle gleich gebaut. Deine Hand sucht die Wand ab und legt den Schalter um. Die Deckenlichter gehen flackernd an. Es ist ein Vorraum und an der gegenüberliegenden Wand siehst du eine zweite Stahltür. Sie ist der Eingang zum Labor.
    »Sag Edgar, er soll die Sprengladungen runterbringen.«
    »Sollen wir –«
    »Es ist egal, ob jemand im Labor ist. Legt die Sprengladung. Ihr habt fünf Minuten.«
    Cedric geht nach oben, um Edgar zu informieren. Du siehst die Tür an. Es interessiert dich wirklich nicht, ob das Labor verlassen ist oder nicht. Ein Ende ist ein Ende.
    Du verlässt die Katakombe.
    Nachdem ihr die Sprengladungen auch im restlichen Haus gelegt habt, schickst du zwei Männer los, damit sie den Hüter und den Jungen zurückholen. Der Schneefall hat zugenommen, der Wind schneidet jetzt waagerecht übers Land, der Sturm hat euch fast erreicht. Die Männer kehren mit leeren Händen zurück.
    »Niemand kann das überleben«, sagt Cedric.
    Du bereust es, nicht sofort reagiert zu haben. Auch wenn du dir sicher bist, dass der Hüter längst verblutet ist, hast du kein gutes Gefühl. Zwei Tote werden Fragen aufwerfen. Besonders wenn einer der Toten eine Kugel in seiner Schulter hat.
    Du hast zu entscheiden. Du kannst deinen Männern den Tag zur Hölle machen und sie auf der Suche nach dem Hüter durch den Schnee peitschen. Oder ihr packt eure Sachen und verschwindet. Oder du könntest der Frau endlich ihre Frage beantworten.
    »Was ist hier passiert?«
    Neben der Frau steht ein Teenager. Du spürst die Abendsonne im Nacken. Es ist so warm, die Wärme ist Balsam, am liebsten würdest du dich auf den Bürgersteig legen. Wenn sich ein Hirnschlag so anfühlt, willst

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