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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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du alle zwei Sekunden einen haben.
    »Was ist hier passiert?«, wiederholt die Frau.
    Sag ihr, was hier passiert ist?, singen die toten Mädchen und ziehen an deinen Armen, dass du es in den Gelenken knacken hörst. Sag ihr, dass du uns treffen wolltest?, singen sie und sehen aus wie übermütige Elfen in ihren Schlafanzügen und mit den bloßen Füßen, dass man sie hochheben und umarmen möchte. Aber ihre Augen verraten sie. Sie sind dunkle Pfützen ohne Tiefe.
    Sieh da bloß nicht zu lange hin.
    Du willst den Blick abwenden, aber die Mädchen sind um dich herum und weichen nicht. Also schließt du die Augen, und ein dumpfer Laut lässt dich zusammenschrecken, als die erste Sprengladung hochgeht. Wind weht dir ins Gesicht, du öffnest die Augen. Das Geräusch der zweiten Explosion wird vom Sturm verweht, sodass euch nur ein dumpfer Laut erreicht. Das Haus brennt. Deine Männer stehen um dich herum, drücken ihre Zigaretten aus, verstauen die Kippen in ihren Jacken. Als die Flammen den Dachstuhl erreichen, steigt ihr in den Wagen und fahrt zurück zum Flughafen. Leopold sitzt dir gegenüber und fragt, ob alles in Ordnung ist.
    »Wir sind zu spät gekommen«, sagst du.
    »Ich weiß.«
    »Kennst du das?«
    »Kenne ich was?«
    »Wenn sich die Zeit verschiebt. Wie Eisschollen.«
    Du demonstrierst es ihm. Lässt eine Hand über die andere gleiten. Leopold lacht.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Ich weiß nur, dass du aufhören solltest, dir so viele Gedanken zu machen. Cedric hat recht, niemand kann da draußen überleben. Was der Sturm nicht mitnimmt, darum kümmern sich die Wölfe. Sei doch mal endlich zufrieden, wir waren erfolgreich.«
    Seine Augen leuchten. Er glaubt wirklich daran. Du sagst ihm nicht, dass du den Hüter verwundet hast. Du weißt nicht, warum du es verbirgst. Wahrscheinlich willst du dein Versagen nicht offenlegen. Dimitri Lazar schießt nicht, um zu verwunden.
    »Es fühlt sich nicht an wie ein Erfolg«, gibst du zu.
    »Was du fühlst«, sagt Leopold und beugt sich vor und legt dir seine Hand auf die Schulter, »das ist das Ende der Jagd, mein Freund. Es ist vorbei. Und damit musst du jetzt leben. Wir sind alte Männer. Es ist vorbei. Und so gesehen hast du dich selbst arbeitslos gemacht.«
    Er lacht und lehnt sich wieder zurück. Du weißt, dass dein Problem anderswo liegt. Dir fehlt der Triumph. Insgeheim hast du erwartet, dass Feuerwerke hochgehen. Die Mission ist erfüllt, ihr habt das letzte Haus gefunden, aber es fühlt sich nicht an wie das Ende. Sechsundzwanzig Jahre warst du auf der Jagd und jetzt ist es vorbei und in deinem Inneren geschieht nichts. Kein Feuerwerk, kein Jubel, nichts.
    Irgendwas ist falsch.
    Und so vergehen die nächsten vierzehn Jahre und wir kommen zum Jetzt.
    Du alterst, du lebst, dein Haar wird weiß, die Konturen in deinem Gesicht werden weicher, du schläfst ruhiger. So vieles ändert sich und so wenig bleibt gleich.
    Dennoch traust du dem Frieden nicht. Dein Gespür lässt dir keine Ruhe.
    Was ist, wenn sich die Quelle dieses eine Mal getäuscht hat?
    Lass es ein geheimes Laboratorium sein, das unentdeckt blieb.
    Was ist, wenn alles wieder von vorne beginnt, was dann?
    Vierzehn Jahre Zweifel.
    Jedes Weihnachten kaufst du dir ein neues Notebook, spielst die Software auf und lässt die Verbindung offen. Du hältst Kontakt zur Informationsquelle, du verlangst jeden Monat einen Bericht, der meistens eine Zeile lang ist und dich wissen lässt, dass es nichts zu berichten gibt. Ein wenig ist es so, als würde diese nagende Unruhe in deinem Inneren nur auf einen Tag der Bestätigung warten.
    Schließlich kommt dieser Tag.
    Du befindest dich an der griechischen Küste. Noch hast du keine Ahnung davon, dass du in weniger als vier Tagen wie eine Bombe in Berlin aufschlagen wirst. Noch weißt du nicht, was dich in Irland erwartet. Du bist entspannt. Du hast eine Yacht für deinen einundsechzigsten Geburtstag gemietet und im Kreis deiner wenigen Freunde gefeiert.
    Am Morgen bist du der Erste, der an Deck steht. Ein feiner Nebel liegt über der Bucht, das Meer bewegt sich kaum. Die Fischerboote kehren von ihrem Fang zurück. Sie winken dir, du winkst zurück und springst ins Wasser. Die Kälte macht dich wach. Du schwimmst einmal um die Yacht herum, und als du gerade aus dem Wasser steigst, ruft dein Notebook nach dir.
    Zwei Signale, die du selbst im Schlaf nicht überhören würdest.
    Du überfliegst die Nachricht und leitest sie an Leopold weiter. Dann weckst du

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