Der letzte Grieche
Zwischentöne aus. Der Priester, der groß, stumm und verschwitzt neben ihr saß, ermunterte sie weiterzusprechen. Sein rechtes Knie zitterte mechanisch, als würde er sicherheitshalber Morsezeichen senden. Leider wurde es auf Grund der schlechten Leitungen ein verworrenes Gespräch.
»Wie geht es …«
» Mána , seid ihr«
»… dem Kind?«
»… gesund?«
»Isst sie …«
»Und jiajiá …«
»… auch ordentlich, mátia mou ?«
»… geht es gut?«
»Ja, obwohl deine Großmutter …«
»Mm, viel. Aber es kommt vor, dass sie …«
»… sich übergibt.«
»… sich übergibt.«
»Sich übergibt?
»Sich übergibt?«
»Weißt du …«
»Siehst du …«
»Agneta möchte eine Ausbildung zur …«
»sie ist …«
»Krankenschwester machen.«
»Was …«
»Hast du gesagt?«
»… hast du jetzt gesagt?«
»Jetzt?«
Trotz der saumseligen Worte begriff Jannis, dass sich der Zustand seiner Großmutter verschlechtert hatte. Sie aß kaum noch, war unfähig zu verdauen, was sie zu sich nahm, und verbrachte ihre Tage im Bett, als böte es ihr Schutz vor der Pflicht zu leben. Als er schließlich auflegte, atmete er tief durch. Er war nicht mehr stolz auf das, was er bekommen hatte, sondern traurig über das, was er langsam, aber sicher verlor. Und schämte sich, weil Vasso sich nicht mehr über seine eigene Freude freute, als er selbst es tat. Es kam ihm vor, als wäre eine demente Wolke die Leitungen entlang gezogen und in seinen Kopf gesperrt worden. Nach einer Weile gelang es ihm, ein Streichholz zwischen die Zähne zu pressen. Unmittelbar darauf biss er sich in die Wange. Schließlich wankte er zu Agneta hinein, die gerade Jannoula stillte. Was nicht so gut klappte. Die Brüste schmerzten, und sie befürchtete eine Milchstauung. Wortlos nahm er ihr das Kind ab und trat ans Fenster. Die Tochter weinte, aber ihr Vater hörte sie nicht. Seine Gedanken waren bei der Großmutter und dem boshaften Abstand von einem Telefon zum anderen, den er nicht gelten lassen wollte. Er spürte, dass in seinem Kopf etwas Krankes geschah, schmutzigem Spülwasser gleich, das in einen Abfluss wirbelt, und erkannte, er war kurz davor, ohnmächtig zu werden.
»Du spinnst ja wohl«, schrie Agneta. »Das kannst du doch nicht machen!«
DIE KATASTROPHE . Wir sollten sein Verhalten erklären. Es hängt mit der Katastrophe zusamen, zu der Jannis einige Monate zuvor interviewt worden war.
Der Grund dafür, dass er Áno Potamiá schließlich verlassen hatte, war ja weder die Pokerpartie noch ein Mangel an Arbeit gewesen, sondern die Tatsache, dass der Himmel Diarrhöe bekommen hatte. Ein paar Wochen bevor er in den Bus mit seinen Büscheln aus getrocknetem Lehm auf den Rädern stieg, hatten die Tiere begonnen, überall Kot zu hinterlassen. »Dreck, Dreck, Dreck«, erklärte er dem Apotheker in Neochóri, als dieser einen Plastikkanister mit Desinfektionsmittel füllte. »Die Engel haben ihre Därme entleert. Es gibt keine Stelle mehr, die noch sauber ist. Wie sollen die Leute jetzt baden?« Jannis ahnte, dass die Krankheit der Tiere mit den Würmern im Futter zusammenhing. Besonders schlimm stank es rund um die Wasserrinne an der Südseite des Badehauses, gleich neben dem Hühnerhof. Vasso half ihm, die Rinne und die Wanne zu scheuern, in der ein Huhn ängstlich mit den Flügeln schlagend in einem unwahrscheinlichen Morast umherstolperte, ehe es abrutschte, wo der Kot am dicksten lag, und einen schmutzigen Tod fand. Sie mussten das Hühnerhaus abreißen, und als sie auch zwischen den Zypressen sauber gemacht hatten, warf Jannis die Überreste sowie die toten Tiere in eine Felsspalte und schüttete Petroleum darüber. Mutlos sah er fetten Rauch aufsteigen. Er erinnerte an die siechen Wurzeln, die sich ein Leben vorher in den Himmel geschlängelt hatten.
Nur Maja überlebte, aus Vergesslichkeit oder unklarer Gnade. Schwach und unsicher stakste sie zwischen den geschrubbten Steinen, zog es meistens jedoch vor, an der Tür zu liegen, voller Scham über die Infektion oder darüber, sie überlebt zu haben. Jannis kochte Milch mit Roggenmehl auf, mischte Medikamente darunter und fütterte die Ziege mehrmals täglich mit einem Löffel. Manchmal musste er ihr das Maul zuhalten, damit sie schluckte. »Bésame, bésame mucho« , lullte er gedankenlos. Auch Despina übergab sich und hatte Probleme mit dem Stuhlgang. Als sie ihren Enkel vor dem Fenster singen hörte, rief sie jedoch: »Endlich Kultur! Lauter!«, woraufhin er die Stimme erhob
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