Der letzte Joker
öffnete er die Tür zum Geheimzimmer. Bündel trat an ihm vorbei und hielt vor Überraschung die Luft an.
Zum zweiten Mal hatte sie die Szene vor sich, von der sie beim ersten Mal durch ihr Guckloch nur Ausschnitte gesehen hatte. Die maskierten Gestalten saßen rings um den Tisch. Während sie noch ganz benommen dastand, schlüpfte Mosgorovsky auf seinen Platz und band sich die Maske vors Gesicht.
Diesmal war auch der Stuhl am Kopfende des Tisches besetzt. Nummer sieben saß auf seinem Platz.
Bündels Herz schlug wie wild. Sie stand am Fußende des Tisches und starrte entgeistert auf das verrückte Stück Stoff mit dem Zifferblatt darauf, das seine Züge verdeckte.
Er saß unbeweglich da, und Bündel spürte die Macht, die von ihm ausstrahlte. Seine Unbeweglichkeit war nicht die Unbeweglichkeit eines Schwachen – und sie wünschte sich heftig, fast hysterisch, dass er beginnen würde zu sprechen, ein Zeichen geben, eine Geste machen würde und nicht einfach dasäße wie eine gewaltige Spinne in ihrem Netz, die erbarmungslos auf ihr Opfer wartet.
Sie schauderte. Da stand Mosgorovsky auf. Seine Stimme, sanft, einschmeichelnd, klang seltsam fern. «Lady Eileen, Sie haben ungebeten an einem der Geheimtreffen der Gesellschaft teilgenommen. Deshalb ist es notwendig geworden, dass Sie sich mit unseren Zielen und Wünschen solidarisch erklären. Der Stuhl von Nummer zwei ist unbesetzt, wie Sie sehen. Wir bieten ihn Ihnen an.»
Bündel rang nach Luft. Die Versammlung glich einem fantastischen Albtraum. War es möglich, dass sie, Eilen Brent, gebeten wurde, sich einer Mörderbande anzuschließen? Hatte man Bill das gleiche Angebot gemacht, und hatte er empört abgelehnt?
«Ich kann nicht annehmen», erklärte sie offen.
«Antworten Sie nicht vorschnell.»
Sie stellte sich vor, wie Mosgorovsky unter seiner Maske bedeutungsvoll in seinen Bart lächelte.
«Sie wissen noch nicht, Lady Eileen, was Sie ablehnen.»
«Ich kann es mir sehr gut denken.»
«Wirklich?»
Das war die Stimme von Nummer sieben. Sie weckte in Bündel vage Erinnerungen. Kannte sie diese Stimme nicht?
Sehr langsam hob Nummer sieben seine Hand und nestelte an der Maskenschnur. Bündel hielt den Atem an. Endlich sollte sie die Wahrheit erfahren! Die Maske fiel. Bündel starrte in Superintendent Battles ausdrucksloses hölzernes Gesicht.
32
« J a», sagte Battle, als Mosgorovsky aufsprang und auf Bündel zulief. «Holen Sie einen Stuhl! Das war ein ziemlicher Schock für sie.»
Bündel setzte sich. Vor Überraschung war sie wie gelähmt. In seiner für ihn typischen ruhigen, angenehmen Art fuhr Battle fort: «Sie haben mich hier nicht vermutet, Lady Eileen. Und auch sonst keiner der Anwesenden. Mr Mosgorovsky ist sozusagen mein Adjutant. Er wusste von Anfang an Bescheid. Aber die meisten anderen haben ihre Aufträge ohne zu fragen von ihm angenommen.»
Bündel sagte noch immer kein Wort. Sie war – ein bei ihr höchst ungewöhnlicher Zustand – einfach sprachlos.
Battle nickte ihr mitfühlend zu, er schien ihre Verwirrung zu verstehen. «Ich fürchte, Sie müssen sich von ein paar lieb gewonnenen Vorstellungen trennen, Lady Eileen. Unsere Gesellschaft zum Beispiel – ich weiß, in Büchern kommt so etwas öfter vor – ist keine Geheimorganisation von Kriminellen mit einem Superverbrecher an der Spitze, den keiner zu Gesicht bekommt. Möglich, dass es derartige Banden gibt. Ich kann nur sagen, dass mir nie eine untergekommen ist, und ich habe ganz schön viel Erfahrung.
Aber es gibt doch viel Romantik auf der Welt, Lady Eileen. Vor allem junge Leute lesen gern von geheimnisvollen Abenteuern, noch lieber erleben sie sie selbst. Ich werde Sie jetzt einer sehr vertrauenswürdigen Bande von Amateuren vorstellen, die für mich bemerkenswert gute Arbeit geleistet hat, Arbeit, die kein anderer hätte machen können. Wenn sie auch eine etwas melodramatische Verkleidung gewählt haben, wen stört’s? Sie waren bereit, sich echten Gefahren auszusetzen – Gefahren der schlimmsten Sorte –, und zwar aus folgenden Gründen: aus Hang zum Abenteuer – was in der heutigen Zeit, da Sicherheit vor allem anderen kommt, ein Zeichen von gesunder Risikofreudigkeit ist – und aus dem ehrlichen Wunsch heraus, unserem Land zu dienen.
Und jetzt, Lady Eileen, darf ich Sie mit den Herrschaften bekannt machen. Als Erstes ist da Mr Mosgorovsky, den Sie schon kennen gelernt haben. Wie Sie wissen, leitet er den Klub hier und ist noch für ein paar andere Dinge
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