Der letzte Krieger: Roman
fragte sein Vater. »Wir verdächtigen seinen Begleiter, den Späher, der im Rat aussagte. Ihr erinnert Euch vielleicht.«
»Das tue ich durchaus, aber warum ausgerechnet ihn?«, erkundigte sich Mahalea, als wisse sie nichts. Bildete sie sich Kavaraths kurzes Zögern nur ein?
»Weil er ohne den Vermissten zurückgekommen ist und behauptet hat, Ihr hättet ihnen aufgelauert und den Mann getötet. Ihr! Stellt Euch das vor!«
Die Anschuldigung verschlug ihr die Sprache. Nicht, weil sie auch nur einen Lidschlag lang befürchtete, irgendjemand könne diesen Vorwurf ernst nehmen, sondern weil so viel Unverfrorenheit dazu gehörte. War der Kerl wirklich so dreist oder nur Kavarath so durchtrieben, es ihm anzudichten?
»Ja, das ist unfassbar«, befand Feareth. »Wir haben seine Worte natürlich angezweifelt, woraufhin er sich in Widersprüche verstrickte, die seine Aussagen Lügen strafen. Diesem Mann ist nicht zu trauen. Wir haben ihn gefangen genommen, damit sich nach unserer Rückkehr der Hohe Rat mit der Angelegenheit befassen kann.«
»Er befindet sich also in Eurem Gewahrsam?« Wollen wir doch mal sehen, was er sagt, wenn ich ihn zur Rede stelle.
»Ja. Und er wird strengstens bewacht«, versicherte Kavarath. »Wer weiß, wozu dieser Kerl noch fähig ist.«
»Dann habt Ihr sicher nichts dagegen, wenn ich …«, begann Mahalea, als sie hinter sich rasche Schritte hörte.
»Geschätzte Ratsmitglieder«, rief jemand atemlos. »Oh, Kommandantin, gut, dass ich Euch ebenfalls hier treffe.«
Mahalea wandte sich um und erkannte eine junge Frau aus Ivanaras Gefolge.
»Ihr alle werdet gebeten, Euch schnellstmöglich bei der Erhabenen einzufinden. Der heldenhafte Davaron ist mit schlechten Neuigkeiten aus Uthariel eingetroffen.«
»Was ist geschehen?«, verlangte Mahalea zu wissen.
»Er sagt, der Mensch hat die Trolle befreit.«
Siebzig Trolle! Wenn Athanor sein Heer abritt, konnte er kaum glauben, dass diese Horde Ungeheuer seinem Befehl folgte. Sie kamen ihm wie eine Naturgewalt vor, die niemand aufhalten konnte, wenn sie erst einmal entfesselt war. Mit dieser Streitmacht hätte er sich selbst den Drachen entgegengestellt – obwohl es ein harter Kampf mit ungewissem Ausgang gewesen wäre.
Doch die Verantwortung für dieses Heer brachte auch Sorgen mit sich. Die Trolle verschlangen Unmengen Fleisch, und das Wild war aus den Wäldern um Theroias Hauptstadt verschwunden. An Nachschub aus den Elfenlanden war nicht zu denken, also mussten sie so viel Proviant mitschleppen, wie die Trolle tragen konnten. Zusätzlich stellte Athanor jeden Tag Jäger ab, die für das Abendessen sorgen sollten, solange sich noch Beute fand.
Damit wird es morgen vorbei sein , schätzte er, als er am vierten Marschtag mit Orkzahn am Lagerfeuer saß. Später würden sie sich unter die anderen mischen. Die Trolle waren Krieger, die mit ihrem Anführer essen und scherzen wollten. So gewann man ihre Herzen. Aber man musste auch Abstand wahren, damit sie den Respekt nicht vergaßen. Auch Orkzahn schien das zu wissen. Deshalb sonderten sie sich jeden Abend eine Weile ab, blieben für alle sichtbar und doch von dem Nimbus umgeben, über Wichtiges zu sprechen, das nur Anführer etwas anging.
»Trolle unterscheiden sich kaum von Menschen«, stellte Athanor fest. »Natürlich seid ihr größer und stärker, aber deine Krieger denken genau wie meine … damals …« Er brach ab, doch er fragte sich, ob er vor Orkzahn immer noch ein Geheimnis aus seiner Vergangenheit machen musste. Es waren keine Elfen hier, die ihn für seinen Pakt mit den Drachen verurteilen würden.
»Hattest du viele Krieger?«, fragte der Troll.
»Sehr viele. Es gab nur zwei Männer, die mehr Macht hatten als ich.« Und das auch nur, weil ich zu dumm war, sie ihnen zu nehmen.
»Waren sie deine Feinde?«
Athanor lachte bitter. »Nein. Es waren mein Vater und mein Onkel.«
Nun lachte auch Orkzahn, und es klang keinen Deut fröhlicher. »Ich kenne meinen Vater nicht. Er kam nie aus den Elfenlanden zurück. Aber du klingst, als hätte ich nichts versäumt.«
»Vielleicht hast du das auch nicht.« Athanor war nicht sicher, ob es ihm ohne seinen Vater besser ergangen wäre. »Die meisten Menschen, die ich kannte, liebten ihre Väter. Ich weiß nicht, was ich für meinen empfinde. Jedenfalls hat er es mir nicht leicht gemacht, ihn zu mögen.«
»War er ungerecht?«
Ungerecht. Athanor drehte und wendete das Wort in seinem Kopf wie ein unbekanntes Werkzeug und versuchte, ihm
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