Der letzte Krieger: Roman
Familie beiseite und stützte sich höher auf, um am kräftigen Nacken des Greifs vorbei nach unten zu spähen. So früh am Tag fehlten die warmen Aufwinde, weshalb er immer wieder mit den Flügeln schlug, um seine Höhe zu halten. So manche Chimäre hätte den anstrengenden Flug verweigert. Das Löwenerbe machte sie nicht nur stark, sondern auch faul. Doch Sturmfeder gehörte zu den verlässlichen Greifen. Er war klüger als die anderen und verstand wohl, dass das Auftauchen der zwanzig Orks am Pass von Gordom ein Grund zur Beunruhigung war.
Und was hatte der Mensch damit zu tun? Diese Frage ging Mahalea immer wieder durch den Kopf. Wenn es um Gefahren ging, glaubte sie nicht an Zufälle. Aber wie sie es auch drehte und wendete, sein Auftauchen ergab keinen Sinn. Er hatte ihnen lediglich eine Menge schmutziger Arbeit abgenommen, für die sie dem Sein etliche neue Leben geschuldet hätten.
Der Greif stieß einen lang gezogenen Schrei aus, der Mahaleas Aufmerksamkeit von den bewaldeten Hügeln an den Himmel lenkte. Sie kannte die Laute, mit denen die Chimären ihresgleichen begrüßten, und machte sich auf den kleinen Tanz gefasst, der zu jeder Begegnung gehörte. Kaum hatte sie den anderen Greif entdeckt, legte sich Sturmfeder auch schon in die Kurve. Kalter Wind pfiff an ihren Ohren, als die beiden Tiere haarscharf aneinander vorbeisausten. Sie glaubte einen Aufschrei zu hören. Oder war es ein Jauchzen? Da ist wohl ein Frischling unterwegs.
Sturmfeder jagte in einer Kehre nach unten, die der andere Greif prompt spiegelverkehrt imitierte. Erneut schossen sie aneinander vorbei, der Fremde knapp über ihren Kopf hinweg. Der Sog zerrte an Mahaleas Fellkappe. Ihr Körper passte sich von selbst dem Spiel an. Eine Tochter Heras fürchtete sich nicht vor luftigen Höhen. Noch nie hatte sie das Gleichgewicht verloren, und sollte es je passieren, blieb ihr immer noch die Magie.
In gebührendem Abstand schraubten sich die beiden Chimären wieder empor. Der andere Reiter hob grüßend die Hand, doch die Art, wie er schnell wieder ins Gefieder des Greifs fasste, verriet, dass er kein Sohn Heras war. Als ob sein leuchtend rotes Haar nicht genügt hätte. Du hast Mut ,stellte Mahalea dennoch fest und nickte ihm zu. Da ihnen das Talent zum Meistern des Luftelements fehlte, wagten nur wenige Söhne und Töchter Piriths, einen Greif zu reiten.
Sturmfeder wendete, um den letzten Teil des Tanzes einzuleiten. Die beiden Greife schwenkten auf dieselbe Richtung ein und flogen nun dicht nebeneinander her. Mal ließen sie sich zur einen, dann zur anderen Seite kippen. Es war, als würden sie sich zurufen: »Mach’s nach!« Doch verglichen mit ihren Möglichkeiten blieben die Manöver harmlos. Vielleicht nahmen sie mehr Rücksicht auf ihre Reiter, als Mahalea früher geglaubt hatte.
»Ich grüße Euch, Mahalea!«, rief der junge Grenzwächter. Seine Augen waren fast so gelb wie die eines Trolls, was ihm unter den Kameraden sicher einigen Spott einbrachte. »Mein Name ist Elidian.«
Sie folgte seinem Beispiel und setzte sich auf. Im Liegen ließ es sich schlecht sprechen. »Kommst du aus Beleam?«
»Ja. Wir haben die Nachricht des Kommandanten erhalten und fliegen seitdem ununterbrochen. Ich selbst bin gestern bis zu den Trollhügeln vorgedrungen, bevor ich umkehren musste.«
»Hast du Orks gesehen?«
»Einen ganzen Trupp. Mindestens dreißig. Aber sie marschierten nach Osten und hatten schwere Lasten bei sich. Ich glaube nicht, dass sie …« Er warf ihr einen unsicheren Blick zu, als sei ihm gerade eingefallen, mit wem er sprach. »Hätte ich sie länger beobachten sollen? Könnte es eine Finte gewesen sein?«
»Hast du in Beleam davon berichtet?«, erkundigte sich Mahalea.
»Natürlich.«
»Dann werden die Späher den Trupp im Auge behalten. Haben die Trolle dort von irgendwelchen Vorkommnissen berichtet?«
»Nein, bei uns war alles ruhig. Wir wissen auch jetzt nicht viel. Uns wurde nur gesagt, dass es einen Angriff durch Orks gab, aber nicht einmal, wo.«
»Am Pass von Gordom. Ich war dort.«
»Wirklich?« In seinen Augen leuchtete so viel Neugier auf, dass Mahalea es aus zwei Greifenschwingen Entfernung erkennen konnte. Er musste in der Tat sehr jung sein. »Würdet Ihr mir davon erzählen? Natürlich nur, wenn Ihr Zeit habt. Ihr habt sicher Besseres zu tun, als …«
»Hör auf, dich vor mir in den Staub zu werfen! Das ist widerlich!«
»Aber Ihr seid die Nichte der Ratsvorsitzenden und die
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