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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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ihren Pfiff hin stets zur Stelle war, weil sie ihm immer das Futter brachte – und trieb ihr Pferd an, wie man es ihr gezeigt hatte. Es sollte wohl so sein: In rasendem Tempo ging es in Richtung Hügel, der Spitz rannte kläffend und schnell wie ein rötlicher Wollblitz nebenher, sprang über Heidebüschel und Felsblöcke, als bereite ihm nichts davon wirkliche Mühe. Um sie herum begann es zu singen, ganz leise, doch der sanfte Ton war in ihrem Ohr. Ein feines Klingen... Und langsam, ganz langsam, stahl sich Freude in Lies’ Herz, über den Wind in ihren Haaren, über das Pieken der wenigen Regentropfen in ihrem Gesicht, über die Luft, die sich so machtvoll in ihre Lunge drückte wie sonst nie, weil sie sonst nie so herrlich schnell unterwegs war, über die Lauflust des weißmähnigen Tieres und über ihren Bauch, der das Kreiseln so unglaublich angenehm fand...
    Sie umrundeten die riesige Schafgemeinschaft, und das Pferd wusste trotzdem, wo es hinlaufen sollte. Lies ließ es einfach rennen. Sie schloss die Augen und ließ die Zügel los, die Hände lagen auf den Oberschenkeln.
    Dahinfliegen.
    Fliegen.
    Glück?
    Mehr. Es war mehr, und es gab in ihrer Sprache kein Wort dafür.
    Am Fuß des Hügels hielt Sörli schnaufend an. »Lauf hoch«, trug Lies dem Spitz auf, »hörst du, lauf hoch – da hoch, hörst du?« Hechelnd sah der Hund zu ihr hoch, dann blaffte er einmal und hetzte begeistert den schmalen Pfad entlang, den Jóis Brauner vorhin in die Erde getreten hatte.
    »Daaanke!«, kam es von oben.
    »Soll ich auch kommen?«, schrie Lies zurück. Jói wedelte verneinend mit dem Arm. Er drehte sein Pferd. Der Spitz hatte die Hügelkappe erreicht. Wie ein Spuk verschwand er zwischen den Steinen, und Lies hörte nur noch sein hektisches Kläffen. Jói war mit seinem Pferd zu einem Standbild festgefroren, nicht einmal der heftige Wind auf der Anhöhe brachte die beiden zum Wanken. Er stieß ein oder zwei laute Rufe aus. Lange hörte man nichts, dann erschien die Schafherde auf der Kuppe. Der Spitz hatte noch mehr dort oben gefunden. Lauter dunkle Wollknäuel, die sich gegen den grauen Himmel abhoben. Klagend blökten sie, riefen sich ihren Protest vom Leib, der Spitz kläffte genau einmal, und der ganze Verein stürzte sich den Abhang herunter, sodass Lies ganz nervös wurde! Hoppelnd und hüpfend und mit traumwandlerischer Sicherheit tippelten sie zwischen den Felsen herum, rechts herum, links herum, eins versuchte auszubrechen, doch der Spitz war schneller, flog förmlich hinterher und brachte es dazu, umzudrehen, und weiter tippelte die Gruppe, blökend, meckernd, blökend …
    Jói war vom Pferd gestiegen. Der Braune hatte ganze Arbeit geleistet und wusste, dass er sich für den Abstieg Zeit nehmen durfte. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, stolperte kein einziges Mal, und kurz darauf standen beide wohlbehalten neben ihr, während der Spitz die Ausreißerschafe auf die Gruppe zutrieb. Es hatte angefangen zu nieseln. Jói schwang sich in den Sattel.
    »Ich hab dich gesehen auf dem Pferd.« Sein Blick war dunkel. »Du findest es doch nicht so schlecht. Ich hab’s gesehen.«
    Lies lachte verlegen.
    Er ließ nicht locker. »Ich hab dich gesehen, Lies. Warum sagst du so was wie das mit dem Fahrrad?« Unverwandt sah er ihr in die Augen. »Niemand fährt Fahrrad in Island.«
    »Hmhm.« Lies wurde verlegen. Sie spürte, dass er noch mehr sagen wollte, es aber nicht herausbrachte. Ari erlöste sie mit einem Brüllen, dass er weiter hinten noch mehr Schafe entdeckt hatte. Es gab nun keine Entschuldigung mehr. Sörli lief hinter dem Braunen her, flott, flotter, dann galoppierten sie an der großen Herde vorbei, den Schafen hinterher. Einer der Collies flog langgestreckt wie ein schwarzer Pfeil neben ihnen her. Der Wind umarmte Lies, und Lies umarmte den Wind, die Beine eng am Pferd, die Arme ausgebreitet, und ganz still innerlich – still.
    Wen kein Bangen mehr beherrscht, frei von hinnen reitet. Heil führt ihn auf seinem Pferd, Glück den Zügel leitet.
     
    Am späten Nachmittag setzte Regen ein. Die Hunde hatten großartige Arbeit geleistet und trieben die ganze Herde vor sich her. Der Spitz blieb zurück und suchte nach Nachzüglern. Lies war totmüde. Krampfhaft hielt sie sich in der Mähne fest, heimlich hoffend, dass das Pferd keinen unerwarteten Hüpfer machen würde, weil sie sich dann nicht mehr würde halten können. Zum Glück hatten die Männer wenigstens etwas zu essen mitgebracht! Mit

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