Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
geritten. Man hat dich gesehen, unten auf der Straße.«
»Ich...« Lies schluckte hilflos. »Ja, ich – er – es ging, irgendwie, es...« Wenn sie so weitermachte, würde die Jacke reißen unter ihren Händen.
Er lächelte. »Siehste – das geht, wenn’s muss. Klar geht das. Elías’ Hengst ist ein gutes Pferd, das bringt jeden, der ihn gut behandelt, nach Hause. Und du behandelst ihn gut, Lies Odenthal.«
»Wollt ihr – wollt ihr Kaffee? Ich kann – ich kann Kaffee kochen«, stotterte Lies. Himmel noch mal, dieser Doktor brachte sie um den Verstand, sie benahm sich ja wie ein brünstiger Teenager. Zum Thema Pferd äußerte sie sich nicht weiter, er musste schließlich nicht wissen, wie schrecklich sie unter Muskelkater gelitten hatte und dass sie sich fast drei Tage kaum hatte rühren können, weil die Oberschenkel und der Hintern so geschmerzt hatten, und zwischen den Beinen, Herrgott – und der Rücken, und die Arme, einfach alles... So schnell würde sie sich nicht mehr auf ein Pferd setzen.
» Kaffipása?« , fragte Jói die Männer. Brummelnd nickten sie, eine Pause war immer gut, schließlich war es noch früh am Morgen, und sie waren in der Dämmerung losgeritten, um nicht zu spät anzukommen. Die Tage wurden ja erheblich kürzer. Aufatmend machte Lies sich auf den Weg in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Isländische Männer waren so unergiebig als Gesprächspartner.
Die kaffipása war denn auch schweigsam – Zucker schaufeln, schlürfen, Nase hochziehen.
» Jæja .« Die Küchenuhr tickte geschwätzig, fragte nach Elías. Niemand gab Antwort. Draußen heulte der Wind vor sich hin, spielte mit Heubüscheln und wirbelte trockenen alten Schnee auf. Ein Hund bellte. Die Pferde standen angebunden vor der Tür und fraßen Heu, was Jói ihnen von der Schafweide herübergeholt hatte.
»Sind schon einige Schafe hier unten, nicht wahr?« Er sah aus dem Fenster. »Hast du’ne Idee, wie viele?« Lies schüttelte den Kopf, goss Kaffee nach.
Ari pulte mit dem Löffel im Ohr herum. »Die alten Muttertiere. Die kommen zuerst. So war es letztes Jahr. Und das Jahr davor.«
Tilli nickte brummend. »So war es.« Gedankenverloren stopfte er sich neue Tabakbrösel unter die Oberlippe. Die Krümel, die herabfielen, blieben zwischen verschüttetem Zucker liegen.
» Jæja .«
»Jaaa.«
Lies kam sich vor wie ein Eskimo auf dem Pferd. Ein ›Nein‹ hatte es nicht gegeben – »Wer Schafe hütet, muss sie auch aus den Bergen holen«, hatte Ari gesagt, und Jói hatte sie im Flur mit allerhand Klamotten ausgestattet – das war offenbar üblich in Island: Man nahm, was man gerade fand, egal, wem es gehörte. Nach seiner Anweisung hatte sie sich also in sämtliche verfügbaren Schals gewickelt und unter die Wetterjacke gestopft und über wollene Unterhose und Jeans eine uralte Gummihose von Elías gezogen – die fühlte sich zwar steif an, ließ aber den Wind nicht durch. Seine gefütterten Gummistiefel waren zu groß, doch mit drei Paar dicken Wollsocken hielten sie einigermaßen am Fuß.
»Kleiderkugel!«, lachte Jói und musterte sie amüsiert. »Ja, so siehst du wirklich aus.«
»So kann ich doch nicht gehen!« Entrüstet sah sie an sich herab. Von reiten mal ganz zu schweigen. Es störte sie, dass er lachte.
»Wetten, dass du das in einer Stunde vergessen hast?« Das konnte Lies sich nun gar nicht vorstellen, es gelang ihr ja nicht mal, den Kopf zu drehen. Neidisch betrachtete sie von der Seite seinen gefütterten Overall, mit dem er aussah wie ein kleiner Junge, und der sicher unglaublich warm war.
Natürlich bemerkte er den Blick. »Willst du den lieber anziehen? Wir können tauschen, wenn dir das lieber ist.« Heftig schüttelte Lies den Kopf. War schon schlimm genug, dass er ihr aufs Pferd helfen musste und dabei lachte, wie ungeschickt sie sich anstellte, und Lies schämte sich für ihren roten Kopf. Mit den Fäustlingen an den Händen spürte sie die Zügel kaum, und sie war froh, dass das wei ße Pferd offenbar wusste, wo es hintrat und in welche Richtung man am besten ging, denn sie als Kleiderkugel konnte ihm da nicht viel helfen. Sörli hingegen schien auch ohne ihre Hilfe seine Arbeit gut zu kennen. Er marschierte froh neben Jóis dunklem Tier, schnaubte und nickte mit dem Kopf, dass die üppige Mähne tanzte.
Ari knatterte auf seinem geländegängigen Motorrad hinter ihnen her. Lies fand, dass dem Kaufmann eine Enduro gut stand – auf einem Pferd hätte er sicher lächerlich
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