Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Seite wieder herauskommen. An dem entstehenden Haken würde man Elías am Hosenträger aufhängen können. Über die Vorstellung musste sie dann doch lachen.
Der Alte war trotzdem ein blöder alter Sack.
3. Kapitel
Die Mahlzeit lag ihr am Ende wieder wie ein Stein im Magen, trotzdem zwang sie sich, aufzustehen und sich Arbeit zu suchen. Vom Herumsitzen wurde doch alles nur noch schlimmer, und man begann, trotz des brennenden Ölofens zu frieren. Das Handy anzugucken, ärgerte sie. Zum Spülen hatte sie keine Lust, erst recht, als sie den ausgespuckten glitschigen Tabakrest in der Spüle fand. Das war zu viel des Guten, Lies verließ die Küche. Sollte es doch wer anders wegputzen. Schwerfällig zog sie im Flur ihre Jacke über und schlüpfte in die Wanderschuhe. Wieder einmal schneite es draußen.
Den Hausherrn fand sie im Schneegestöber drüben am Schafgatter, wo er mit einem dicken Stein einen umgefallenen Pfosten in den Boden klopfte. Es sah ein wenig unbeholfen aus, wie er den großen Stein mit seinen gichtigen Händen umklammert hielt und vorsichtig auf den Pfosten fallen ließ, und Lies fragte sich, ob es auf Gunnarsstaðir wohl keinen Hammer gab. Doch aus Rache für das einsame Ei und die Rotze in der Spüle ging sie einfach an ihm vorbei und in den Stall, wo es warm war und vor allem nicht so furchtbar einsam und still wie im Haus. Sollte er doch verdammt noch mal sehen, wie er klarkam.
Die Futtergänge waren schon wieder leergefressen, die Schafe schauten hungrig drein. Hatte sie so viel Zeit im Haus verbracht? Seit sie am Morgen ihre Uhr abgelegt hatte, weil sie beim Arbeiten störte, hatte sie jedes Zeitgefühl verloren. Seufzend begann sie, Heu vom Ballen zu rupfen. Jetzt, wo sie zum zweiten Mal diese Arbeit verrichtete, fiel es schon viel leichter, und sie setzte ihre Füße vorsichtiger in den Gängen und stolperte nur ein einziges Mal über die Schwelle im Durchgang. Die Schafe indes stürzten sich auf das Futter, als hätten sie wochenlang nichts bekommen. Sie kamen Lies vor wie eine Kindergartenmeute, wenn es Schokoladenpudding gab.
»Puddiiiiing«, lachte sie und warf den letzten Arm voll Heu auf den Gang. Merkwürdig, wie die schlechte Laune, die sie aus dem Haus mit herübergebracht hatte, hier zerstob...
In einer Box lag ein neugeborenes Lamm, noch feucht und sehr mager und schon müde vom Lebensanfang. Die Mutter knabberte am Heu und blubberte zwischendurch aufmunternd, es sei jetzt an der Zeit, mal auf die Füße zu kommen.
Lies konnte nicht anders. Sie stieg über die Brüstung und hockte sich neben das Kleine.
»Na du – bist du noch zu müde?«, fragte sie leise. Eilige Schritte, und das Schaf stand neben ihr, besorgt den Nachwuchs beleckend. Seltsamerweise hatte sie keine Angst vor dem Tier, obwohl die dicken Hörner fast vor ihrer Nase schwebten. Und auch der Geruch nach feuchter Wolle kam ihr nicht mehr so unangenehm vor wie beim ersten Mal.
»Vielleicht liegt es an dem fiesen Zuckerkaffee«, lachte sie leise vor sich hin. »Der macht mutig.«
Das Schaf blökte abgehackt. Man wird ein bisschen isländisch davon.
Sie schaute sich um, nahm die Eindrücke des Stalls in sich auf. Der Zeitungsartikel von Silke kam ihr in den Sinn. Jetzt hatte sie auch so etwas erlebt, und dass die nette Isländerin fehlte, konnte sie fast verschmerzen. »Ihr seid so süß…«, flüsterte sie und streichelte vorsichtig das Lamm. Die feuchten Löckchen lagen akkurat eins neben dem anderen. Kaum zu glauben, dass sich bald ein dichtes langes Haarkleid daraus entwickeln würde... Das Lamm sah zu ihr hoch und bähte leise. Und dann sortierte es die Hinterbeine unter den Bauch, arbeitete sich hinten hoch und stand schwankend und auf endlos langen Beinchen vor ihr.
»Siehst du, geht doch«, lächelte Lies und kraulte vorsichtig das Köpfchen, und es war ihr egal, dass ihre Finger davon feucht wurden, weil die Mutter das Trockenlecken für Heu abgebrochen hatte.
Man wird ein bisschen isländisch davon. Man fängt an, mit Tieren zu sprechen.
Auch nach sieben Tagen hatte Elías noch kein echtes Wort mit Lies gewechselt.
Ihr Zusammenleben hatte sich – eingependelt, wenn man es so nennen mochte. Schweigend lebten sie nebeneinander her – oder vielmehr lebte Elías sein Leben, ohne sich an Lies’ Anwesenheit zu stören, ohne sie einzuladen, ihn kennenzulernen und ohne sie abzuweisen. Einzig der Spitz wurde freundlicher, zumindest knurrte er sie nicht mehr an, wenn sie das Haus betrat.
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