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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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intensiven Duft nach Omas Küche am Freitag. Nur die Bratkartoffeln und der Endiviensalat mit Milchsoße fehlten, und der stets zu lang gezogene Hagebuttentee, gesüßt mit viel zu viel Rapshonig vom Imker nebenan...
    Elías zog die Nase hoch. Ein Taschentuch wäre nötig gewesen, stattdessen benutzte er den Ärmel. Der Friede aus Bratkartoffel und Erinnerung an Oma zerstob, Lies kam auf den unappetitlichen Boden von Gunnarsstaðir zurück.
    ›Sei zufrieden‹, sagte sie in Gedanken zu sich selber, ›sei zufrieden und erinnere dich daran, wie es mit Packbier jetzt wäre.‹ Schlechte Luft in den Amtsräumen. Lange Gesichter der Kollegen. Packbier hätte dich vom Essen abgehalten. Alles wäre kalt geworden. Er hätte den gesamten Aktenstapel durchforstet und sicher hunderte von Kritikpunkten vorzubringen, ach, wahrscheinlich war nicht eine einzige Steuererklärung richtig bearbeitet worden – und er säße vor dir in seinem Chefsessel, mit baumelnden Beinen, weil er so klein war – ja, klein war er, und sie erinnerte sich daran, wie die Oma immer gesagt hatte: »Nimm dich in Acht vor kleinen Männern und dicken Frauen.« Die Oma hatte Recht gehabt – kleine Männer glauben, ihre mangelnde Größe ausgleichen zu müssen, meist mit üblen Auswirkungen für ihre Umwelt... Wieder sah sie ihren Chef vor sich, klein, mit Hosen in Kindergröße, spöttisches Gesicht, sarkastische Stimme: »Frau Odenthal, so geeeht das nichttt!«
    »So geeeeht das nichttt!« Beherzt streute Lies Pfeffer auf das stockende Ei. Um nichts auf der Welt wollte sie diese Stimme wieder hören. Lieber gar keine Stimme hören und hier sitzen und Elías beim Essen zugucken.
    Kurz darauf saßen sie also schweigend nebeneinander, aßen dunkles Brot mit flüssigem Eigelb und schnitten das Eiweiß in mächtige Stücke. Dabei bemühte Lies sich, nicht hinzuschauen, wie dem Alten Eigelb aus dem Mund tropfte, weil er die schlaffen Lippen beim Essen nicht richtig schloss. Beständiges Schlürfen half da nur wenig, und so fiel ein Tropfen nach dem anderen neben den Teller, wo er sie mit dem Finger aufwischte und ableckte. Die Schmiere auf dem Tisch erzählte von vielen aufgeleckten Speiseresten. Lies dachte an Packbiers gehässige Fratze, das half ein wenig, den Ekel zu überwinden. Das Ei, obwohl delikat würzig, schmeckte ihr nicht mehr so wirklich.
    Als Nachtisch gab es Kuchen, und natürlich wartete Elías damit nicht auf Lies. Er zog eine runde Backform aus dem Ofen und schnitt ein akkurates Viertel aus dem Kuchen heraus. Dank offenbar jahrelanger Übung fiel nicht ein einziger Krümel auf den Tisch. Dreimal abbeißen genügte, dann war das Kuchenstück in seinem Mund verschwunden, und er versenkte die Backform wieder im Ofen, ohne ihr etwas angeboten zu haben. Lies vergaß darüber weiterzuessen. »Genuss pur«, murmelte sie, »und danke auch, ich mag eh keinen Kuchen.« Was hatte Silke ihr von der überaus großzügigen Gastfreundschaft der Isländer erzählt? Dummes Zeug!
    Elías blieb trotz seines Alters keinen Moment länger sitzen als nötig. Kaum hatte er fertig gegessen, landete der Teller mit Geschepper in der Spüle, und er griff an ihrer Nase vorbei nach der Thermoskanne. Lies konnte seinem Arm gerade noch ausweichen. »Depp«, zischte sie leise und zwang sich weiterzuessen.
    Der Alte rührte sein Zuckergebräu zusammen – fünf gehäufte Löffel weißer Zucker, dann der Kaffee obendrauf, der auch verrührt kaum die Zeit bekam, den Zucker aufzulösen. Obwohl es dampfte, kippte er den ganzen Becher ohne abzusetzen hinunter, knallte die Tasse gleich neben ihr auf den Tisch, stand auf und verließ » Helvíti « brummend und hinkend die Küche. Eine Wolke von unverständlichem Ärger blieb zurück. Was hatte sie bloß falsch gemacht? Sosehr sie auch nachdachte, sie kam nicht drauf. Vielleicht störte sie einfach nur?
    »Na, das ist ja ein herzlicher Laden hier«, rief sie ihm wütend hinterher. »Verreck doch, blöder alter Sack!«
    Draußen klapperte es. Schritte kamen zurück, dann stand er wieder in der Küche. Langsam griff er in die Jackentasche – und zog ihr Handy heraus. Sah es sich an wie einen Gegenstand vom Mars und legte es schulterzuckend vor Lies auf den Tisch. Dann ging er, ohne ein Wort.
    Und während sie die Reste ihres Eis vom Teller kratzte, spürte sie, wie sich eine steile Falte an ihrer Nasenwurzel immer tiefer in die Haut grub. Wenn sie länger hier wäre, würde die Falte durch ihren Kopf gehen und auf der anderen

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