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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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aus Plastikfolien gelegt. Lies ekelte sich vor diesem grausigen Arrangement, und da gerade kein Wind ging, zündete sie den Haufen kurzerhand an, bevor sich Fliegen sammeln konnten. Na, vielleicht gab es auch keine Fliegen, kalt wie es immer noch war, aber stinken würde es sicher zum Himmel. Zusammen mit dem Spitz stand sie vor dem qualmenden Feuer, wärmte sich die Hände und sah zu, wie die Flammen die Kadaver der Lämmer langsam verschlangen. Der Geruch von verbranntem Plastik mischte sich mit brennenden Haaren zu einer reichlich ekelhaften Melange, doch dann kam ihr der Gedanke, dass Verbrennen irgendwie eine befriedigende Methode war, Dinge aus der Welt zu räumen.
    Dinge, die störten. Die den Seelenfrieden störten. Die für Schlaflosigkeit sorgten. In ihrer Fantasie sah sie ihren Schreibtisch in Büro Nummer 214, linker Flügel des Nebengebäudes, brennen. Was für eine Idee! Lichterloh brennen. Akten, Papierberge, Stifte, Stempel. Sie sah sich mit Anlagen N zündeln und Bündel von brennenden Kapitalformularen zwischen die Stapel stecken. In jeder Schublade steckte ein Aktendeckel vom Stapel »Unerledigt« und züngelte mit zierlichen Flammen. Sie sah die Rauchwolken von Büro zu Büro ziehen, die Flure entlang, sah Funken sprühen, den hässlichen Linoleumboden vertilgen, die noch hässlicheren, vergilbten Kalenderdrucke von den Wänden herunterschmelzen, und sie stieß einen wilden, fast triumphierenden Schrei aus, als die Flammen aus ihrem isländischen Plastikhaufen endlich hochstiegen, den Qualm übertrumpften und das Brandgut hungrig vertilgten. Der Spitz kniff den Schwanz ein und verzog sich. Auf Gunnarsstaðir schrie man nicht.
    Lies ließ einen zweiten »I feel good!«-Schrei ab und warf neue Folien auf den Haufen, sie hüpfte und drehte sich, als die Flammen hochschlugen und versuchten, den grauen Himmel umzustimmen, und irgendwo im Haus stand Elías Böðvarsson am Fenster und betrachtete den ausgelassenen Regentanz, den seine Hofhilfe da vollführte. Abends, als sie beim Stricken zusammensaßen, fragte er sie.
    »Du magst Feuer?«
    Erstaunt sah sie hoch. Und grinste dann, so fröhlich, dass die Küchenuhr sich erneut verschluckte und für ein paar Schläge sogar schneller tickte.

5. Kapitel
     
    Das Schaf quälte sich schon eine ganze Weile.
    Lies war ratlos. Das erste Lamm war problemlos zur Welt gekommen, doch hatte die Mutter nicht mit Fressen begonnen, wie man es kannte, sondern drehte sich im Kreis, stöhnte und schaute Lies immer wieder flehend an. Irgendwas stimmte hier nicht.
    »Was mach ich denn mit dir?«, fragte sie leise. Das Lämmchen versuchte mehrmals, an die Striche heranzukommen, was ihm nicht gelang, denn das Muttertier war so beschäftigt mit sich selbst, dass es fast über das Kleine stolperte. Lies legte sich auf die Knie und molk von der Vormilch in das Fläschchen – eine Fertigkeit, die sie in den letzten Tagen erlernt hatte, als ein Lamm nicht trinken wollte. Irgendwann hatte sie sich entnervt unter das Schaf gelegt und so lange am Euter gefummelt, bis Milch in die Schale lief – seither konnte sie melken. Manche Dinge waren sehr einfach in Island.
    Die Striche glitten prall zwischen ihre Finger, feine Strahlen Milch quollen herunter und zielsicher in die Flasche hinein. Sie schraubte den Schnuller auf den Rand und schob sich das Lämmchen so unter den Arm, wie sie es bei Elías gesehen hatte. Durstig trank das Tierchen, während die Mutter sich weiter drehte, hinlegte, wieder aufstand, unter Schmerzen stöhnte. Das selige Schmatzen des Tierchens machte Lies daher nicht so glücklich wie sonst. Als das Lämmchen satt und zufrieden in der Ecke lag, packte Lies das Muttertier entschlossen bei den Hörnern und band es mit einem Strick am Gatter fest – ebenfalls etwas, was sie sich erst seit ein paar Tagen traute, denn die Schafe waren blitzschnell, und man musste noch schneller sein und gut zupacken, sonst hatte man blaue Flecken an den Oberschenkeln. Sie schmierte sich die Hand mit Vaseline ein und glitt vorsichtig in die Scheide hinein, wie sie es inzwischen viele Male getan hatte, um Lämmern auf die Welt zu helfen, um sie in der Gebärmutter zu drehen oder um widerspenstige Nachgeburten herauszufischen. Für alles hatte es ein erstes Mal gegeben, und von Mal zu Mal hatte sie mehr Mut gehabt, etwas auszuprobieren. Was blieb einem auch anderes übrig, so ganz allein und sich selbst überlassen. Schwierigere Fälle hatte Elías mit untrüglichem Gespür meist selber

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