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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Einfüllen des Öls nicht aufgepasst, und es würde tagelang danach riechen. Elías schien das nicht zu stören, vielleicht roch er es auch gar nicht. Er kam mit einem Korb bewaffnet in die Küche und setzte sich schweigend auf seinen Platz, und zu Lies’ großem Erstaunen entnahm er dem Korb Strickzeug.
    »Ich habe Knochen gefunden«, sagte sie mit einem Mal. Elías sah hoch, so interessiert wie noch nie zuvor. »Ich habe Knochen gefunden. Da hinten.« Sie deutete in die Richtung, wo sie das Grab gefunden hatte.
    Lange sah der Alte sie an. Abwehr in seinem Blick ging über in Verwunderung, dann in Interesse. Vielleicht fragte er sich, woher sie die isländischen Worte kannte. Oder auch, wo sie sich herumtrieb, wenn sie nicht arbeitete. Ein leises Lächeln zuckte um seinen schlaffen Mund. Lies machte große Augen.
    »Mein Vater«, sagte er langsam. »Mein Vater begrub seine treuen Pferde. Er aß sie nicht auf.«
    Die Stimme verklang. Stille senkte sich über das Zimmer. Die Knochen da draußen hatten sich zu den anderen, stummen Bewohnern von Gunnarsstaðir hinzugesellt. Zu Anna Bryndís, Palli, Ísak und dem allgegenwärtigen helvíti . Da musste sie doch grinsen. Helvíti . Elías nahm sein Strickzeug auf, sortierte die Nadeln und wickelte den Faden um seinen krummen Zeigefinger. Langsam und ungelenk schlang er Masche um Masche seines Strumpfgebildes. Lies hatte noch nie einen Mann beim Stricken gesehen. Ganz eigenartig sah das aus – wie ein Foto aus längst vergangenen Zeiten. Der alte zerknautschte Mann und sein graustacheliger Strickstrumpf. Es hatte auch etwas Beruhigendes, ihm dabei zuzusehen, und ein paar Abende später fand sie den Mut, ihn um Nadeln und Wolle zu fragen. Sein Erstaunen war grenzenlos, dann lachte er wiehernd, und seine alten Augen sprühten vor Vergnügen.
    »Pullover oder Socke?«, fragte er und deutete auf Lies, als könne er seinerseits nicht glauben, dass eine junge Frau Strickzeug in die Hand nimmt.
    »Socke«, sagte sie ernsthaft.
    »Socke«, wiederholte er. »Socke, jæja .« Kurz darauf hielt sie ein paar kurze Stricknadeln in der Hand und ein Knäuel kratzige, fettige Wolle und reiste gedanklich zurück in ihre Kindheit, wo sie mal stricken gelernt hatte, um sich zu erinnern, welche Nadel mit welchem Finger und wo der Faden... Geduldig sammelte sie die Nadeln vom Boden auf, wenn sie ihr durch die Maschen glitten, und versuchte erneut, das Strickzeug zusammenzuhalten und Maschen zu schlingen …
    Der Alte stand wieder auf und ging an den Schrank. Aus einer Flasche goss er Schnaps in zwei Gläser, drehte sich um und reichte ihr eines davon.
    »Trink«, sagte er, »trink, und dann strick.« Und er prostete ihr zu. Und weil Lies nicht unhöflich sein wollte, nahm sie sein Glas an, hob es und goss es so hinunter, wie Elías es ihr vormachte. Es brannte wie Feuer, verätzte ihren Mund, und sie musste sich zum Husten vorbeugen, weil sie keine Luft mehr bekam.
    » Brennivin macht gute Hände«, sagte der Alte und goss das Glas erneut voll. Lies war hilflos – da hatte er nun mal gute Laune, und gleich füllte er sie mit Selbstgebranntem ab -, doch es half ja nichts, es galt zu trinken, um den friedlichen Abend nicht zu verderben. Nach Luft japsend sah sie zu, wie er Flasche und Gläser wieder in den Schrank stellte. » Brennivin macht gute Hände«, murmelte er und plumpste auf seinen Sitz zurück. Lies griff nach ihrem Strickzeug. Die Nadeln blieben wie durch Magie in den Maschen stecken. Heimlich leckte sie sich die Lippen. Brennivin also. Das Zaubermittel.
    Elías lachte lautlos vor sich hin. Die Küchenuhr tickte, Nadeln klapperten. Draußen heulte der Wind ums Haus, gefrorene Schneeflocken raschelten gegen das Fenster. Im Ofen bullerte es friedlich, der Ölgeruch hatte sich an diesem Abend mit Kaffeeduft vermischt. Das Tal draußen war grau und still. Der Winter saß wie ein Bär vor der Tür. Er verharrte dort trotzig und verwehrte dem Frühling den Eintritt ins Land, obwohl es in der Welt da draußen – zu Hause – bereits Mai war, wo Blumen dufteten und wollene Kleider in Schränken verschwanden. Auf Gunnarsstaðir hingegen schien die Zeit stehen zu bleiben. Die Küchenuhr tickte für einen Moment schneller, dann setzte sie aus – und tickte weiter.
     
    Es gab auch tote Lämmer.
    Eines sonnigen Morgens fand sie zwei vor dem Stallgebäude. Elías hatte bei seiner Morgenrunde die Kadaver herausgeräumt und zusammen mit einem stinkenden Berg von Geburtsüberresten in ein Nest

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