Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
der die ganze Zeit zuverlässig blau blieb.
Lies verbrachte tatsächlich die folgenden beiden Tage fast ausschließlich in der Küche, um wie für eine hungrige Fußballmannschaft Essen herzustellen, denn Arbeit macht hungrig. Es galt Brot zu backen, Kartoffeln, die Ari mitgebracht hatte, zu schälen, Fleisch vorzubereiten und in einem großen Topf den Eintopf zu kochen. In einem anderen Topf simmerte Rhabarbersuppe vor sich hin, die sie mit zerdrückten Kartoffeln angedickt hatte – eine Zubereitung, die sich ekelhafter anhörte, als sie schmeckte. Die Brotbackmaschine lief beinahe ununterbrochen, die noch warmen Scheiben bestrich sie mit der Butter aus Aris Proviantkiste, einem tiefgelben, aromatisch riechenden Brei aus der Milchkammer des Nachbargehöfts unten an der großen Straße. Sie hatte vor lauter Schafsmilch ganz vergessen, wie gut die Butter aus Kuhmilch schmeckte …
Elías ließ sich nicht mehr blicken. War er jemals krank gewesen? Unleidlich, unpässlich? Nichts davon war mehr zu sehen, auch seine schlechte Laune hatte er zusammen mit den Mullbinden und vermutlich allen Spritzen, Kanülen und Tabletten in seinem Schlafzimmer zurückgelassen. Nachdem die Männer ihn mit vereinten Kräften auf den Seitensitz des Traktors gehievt hatten, war er mit stolzem Blick nach vorne mit Ari davongefahren, um seine Heuernte zu überwachen. Man konnte sich gut vorstellen, wie schmuck er als Traktorfahrer einmal ausgesehen haben musste. Der Spitz rannte kläffend hinterher. Jói war ebenfalls mitgefahren, weil man zu dritt besser arbeiten konnte. Die alte Brücke wackelte erbost, als man sie mit Traktorlärm störte. Das ganze Jahr über lag sie in Frieden da über der Schlucht, weil es keinen Grund gab, auf die andere Seite zu gehen, wo außer Reihern, Gänsen und einem Polarfuchs niemand wohnte. Auch Lies hatte sich nach dem Düngen nicht getraut, sie zu betreten. Vielleicht weil die Einsamkeit auf der anderen Seite noch schlechter zu ertragen war. Nun aber ertrug das Bauwerk ächzend und seufzend den Traktor und schwang noch ein bisschen nach, als er auf dem Felsboden gegenüber angekommen war.
Das weiße Pferd stand vorne am Zaun und beobachtete das Tun der Männer kerzengerade und unbeweglich wie ein Standbild. Ganz leise bebten seine Nüstern. Es hatte schon immer an diesen Platz gehört. Vielleicht hatte schon vor hundert Jahren hier ein stolzes weißes Pferd mit wehender Mähne gestanden und den Hofleuten hinterhergeschaut …
Vom Küchenfenster aus konnte auch Lies das Dreigespann sehen, drüben am Berg, wo die warme Quelle entsprang und wo es auch zu Zeiten, als das ganze Tal noch grau und trüb gewesen war, grünlich geschimmert hatte. Irgendwann würde sie den Mut haben, zu dieser Quelle zu wandern und zu schauen, wie warm sie wirklich war. Nach der Heuernte, das Gras verdeckte die Quelle nämlich schon seit Wochen. Einen ganzen Sommer lang hatte es, stetig wachsend, auf diesen Tag gewartet. Nun stand es hoch und bereit für die Ernte. Spur für Spur sank das Gras unter den Messern des Mähers dahin, lag seidig glänzend zum Trocknen ausgebreitet und wartete darauf, in der Sonne die Farbe zu wechseln und den richtigen Duft zu bekommen, den der Wind dann triumphierend durch das Tal tragen würde …
Lies brachte ihnen das Essen in einem alten Wäschekorb über die Holzbrücke. Niemand verließ gerne seinen Arbeitsplatz, wenn Zeit und Wetter ihm im Nacken hingen, daher gab es am Mittag kalte Küche auf den Knien. Ihre Arme waren auf dem langen Weg dorthin unter der Last lahm geworden, doch sie jammerte nicht, weil es irgendwie einfach ein grandioser Tag war. Die Männer setzten sich auf Findlinge und schaufelten das Essen in sich hinein, und niemand lobte Lies’ Kochkünste oder verlor sonst wie ein Wort zu viel.
» Jæja «, nuschelte Elías.
»Gibt gutes Heu«, erwiderte Ari mit vollem Mund.
»Jaaaa«, kam es zurück.
»Scheune voll.« Knatschendes Kaugeräusch. »Voll, sag ich euch.«
»Jaaaa. Wir hatten auch schon andere Jahre...«
»Hmmhm.«
Jói grinste nur und nahm sich noch ein Stück kaltes Kochfleisch aus dem Topf.
Lies schoss durch den Kopf, wie es wohl im nächsten Jahr hier aussehen würde. Ob Elías dann auch beim Heumachen dabeisitzen würde? Ob er dann überhaupt noch lebte? Wer würde dann die Schafe versorgen? Die Hühner, den Hof? Wer würde Gänseeier suchen gehen und wer das Pferd am Morgen füttern und seine Mähne kraulen? Sie bemühte sich um ein Bild im Kopf, doch
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