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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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und die ganze Aktion war mit dem Zusammenpacken der Wolle nach knapp einer Stunde erledigt. Elías hatte sich türenknallend in sein Zimmer zurückgezogen, nachdem er Lies vorgeworfen hatte, dass der Kaffee ekelhaft schmecke und sie Salz in den Zucker gestreut habe.
    »Das stimmt doch gar nicht!«
    »Du willst mich vergiften, fremdes Mädchen!« Seine Augen hatten gelodert, und seine Wangen waren heiß und rot gewesen, dann war er verschwunden, und sie hatte ihn hinter der Tür jammern hören.
    »Hm, nicht gut, der Alte«, brummte der Schafscherer und stellte seine Tasse auf den Tisch. Nein, gar nicht gut. Mit diesen plötzlichen, gegen sie persönlich gerichteten Wutanfällen kam sie nicht zurecht und wischte sich heimlich Tränen aus den Augen.
    »Er ist krank«, sagte sie der Höflichkeit halber.
    »Jaaa.« Der Vollbart nickte langsam. »Früher konnte keiner schneller scheren als Elías Böðvarsson, weißt du?« Er kraulte seinen Bart. »Er hat mir damals gezeigt, wie man das macht, und er hat mir das Geld für meine erste Maschine gegeben. Weißt du?«
    Sie nickte stumm. Früher. Ob er früher auch so ein Stinkstiefel gewesen war? Nein, sicher nicht, wenn er jungen Männer Geld gab, um sich selbstständig zu machen, oder Waisenkinder beherbergte. Das Mosaik um Elías Böðvarsson wurde immer bunter und unverständlicher. Sie traute sich nicht, weiter zu fragen, und starrte auf den Küchentisch, wo sein Kaffee unberührt stehen geblieben war.
    Sein ungerechter Zorn schwebte immer noch in der Küche. Vielleicht war es auch die Bitterkeit darüber, nichts mehr so wie früher zu können und den Körper dahinsiechen zu sehen. Sie stützte das Kinn in die Hand. Wie hart musste das sein für einen alten Mann, der immer allein klargekommen war. Immer mehr abgeben, immer mehr anderen überlassen, immer häufiger zusehen, was einem früher so leicht von der Hand gegangen war... er versuchte es trotzdem, wie kürzlich erst das Düngen, und war hinterher drei Tage krank. Vielleicht war es das, was ihn so bitter und böse machte. Die Schwäche. Das Abrutschen aufs Altenteil. Nur, dass Island kein Altenteil vorgesehen hatte. Lies fühlte Trauer in ihrem Herzen.
    Der Vollbart stand auf. Durchs Fenster sah sie, dass seine Söhne mit dem Aufladen der Wolle fertig waren.
    »Verkauft ihr die?« Er nickte, klopfte wie zum Abschied auf den Tisch. Und gemeinsam gingen sie hinaus, ohne dass er Elías noch mal gesehen hatte. Lies hatte das Geld, welches der Alte auf die Spüle gelegt hatte, mitgenommen und gab es dem Schafscherer. »Danke auch, dass ihr gekommen seid.«
    »Keine große Sache«, grinste der Vollbart, als er sich, die Scheine in die Hosentasche stopfend, ins Fahrerhäuschen schwang, wo die anderen beiden bereits warteten.
    »Was ist eine große Sache?« Lies rannte ihm hinterher, enttäuscht über die schnelle Abreise. Warum erzählte er nicht mehr, warum machte er das Grau von Gunnarsstaðir nicht bunt, wo ihr gerade so traurig zumute war... »Wie viele Schafe sind denn viel?«
    Der Bärtige sah sie lange an. »Du bist nicht von hier.« Sie schüttelte den Kopf. »Viel ist... zehnmal so viel. Das hier ist – nichts.« Er stützte die Arme auf die Oberschenkel und sah auf sie herab. »Weißt du, Mädchen. Elías hat das früher selber gemacht. Alleine hat er es gemacht, alles. Noch letztes Jahr. Heute machen wir das.« Dann grinste er. »Nächstes Jahr machst du das.«
    Der Dieselmotor dröhnte los, der Auspuff hustete. Erschreckt starrte sie ihn an. Nächstes Jahr??
    Er hob grüßend die Hand, dann paffte eine dicke Qualmwolke aus dem vollbeladenen Auto, und sie rumpelten über die Schotterpiste in Richtung Osten, und die verzurrten Schafsmäntel wackelten wie ein Berg von wolliger Götterspeise auf der Pritsche hin und her und winkten Lebewohl.
     
    Und als wäre der großangelegte Garderobenwechsel der Mutterschafe das Signal gewesen, so gab auch die Natur dem Drängen nach – es wurde richtig Sommer. Eine Nacht als Zeit der Dunkelheit gab es ja schon lange nicht mehr, doch hatten die Farben gefehlt, um den Sommer perfekt zu machen. Mit grünen Hälmchen hatte es ja vor Wochen angefangen. Bald konnte man sie nicht mehr zählen, das Gras wuchs jetzt wie ein dicker flockiger Teppich in die Höhe, dort, wo sie gedüngt hatten, sogar noch schneller als auf den anderen Flächen. Die Berge rechts und links der Jökulsá zierten sich noch, von ihrem Fuß an aber zog sich allmählich mehr lichtes Grün die Hügel hinauf,

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