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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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sich vor einem Windzug schützen, aber es ging gar kein Wind – der war ja mit den Schafen losgezogen.
    »Aus Lämmern werden Schafe«, sagte er mit brüchiger Stimme und versuchte ein Lächeln.
    Es klang seltsamerweise wie ein Lob.

8. Kapitel
     
    Und dann kamen eines schönen Morgens im Juli Ari und Jói angefahren, der eine in seinem staubigen Geländewagen, der andere pöppelte in einem riesigen Traktor mit allerlei Gerätschaft auf dem Anhänger hinterher. Fröhlich entstiegen sie ihren Gefährten und begrüßten den Alten, der so gelöst wie schon lange nicht mehr wirkte.
    »Na?« Jói schlenderte zu Lies herüber, die sich an der Wäscheleine zu schaffen machte.
    »Na?«, fragte sie schüchtern zurück. ›Bei Gelegenheit‹ war gekommen. Endlich. Sie lächelte froh. Und seine Augen waren so blau.
    »Alles klar?«
    »Ahum«, nickte sie. Einsamkeit, Hunger, Wetterfrust – weggeblasen. Worte allerdings – Fehlanzeige. »Alles klar.« Sie schluckte, unglaublich verlegen. Und dann mit Blick auf den Riesentraktor: »Was habt ihr vor?«
    »Heu machen«, entgegnete er mit isländischer Wortsparsamkeit. »Es ist Juli, und die Sonne scheint.«
    »Ah.« Er zwinkerte ihr zu und ging wieder. Wunderschön blau waren die Augen.
    Lies ohrfeigte sich in Gedanken für ihre Einfallslosigkeit und riss eine der ergrauten Unterhosen von Elías aus dem Wäscheknäuel. Der Sommerwind fegte sie ihr spielerisch aus den Händen, sie stolperte hinterher und bekam sie an der Hausecke, wo sich das Rhabarbarfeld an der Hauswand entlangstreckte, wieder zu fassen. Jói stand dort mit den beiden Männern, trank aus einem Glas und lachte. Erschrocken versteckte Lies die Unterhose hinter ihrem Rücken.
    »Auch einen brennivin ?«, fragte Ari und prostete ihr zu. Lies schüttelte den Kopf. Elías grummelte irgendwas, grinste und goss sein Glas erneut randvoll. Sie hatte nie mitbekommen, dass er so trinken konnte.
    »Ach komm, zum Auftakt der Heuernte muss man einen brennivin trinken. Das tun wir immer auf Gunnarsstaðir. Komm, Mädchen. Komm.« Der Kaufmann goss sein Glas voll und hielt es ihr hin. Zögernd trat Lies näher, die Unterhose hinter ihrem Rücken, und nahm das Glas.
    »Trink«, lächelte der Alte von Gunnarsstaðir. »Trink, Mädchen.«
    Sie wusste ja, was auf sie zukam. Wie es brannte. Trotzdem trank sie und stand Sekunden später nach Luft ringend in Flammen.
    Das Glas war ins Gras gefallen, die Hose flatterte irgendwo ums Haus, Lies fasste sich mit beiden Händen an den Hals und hustete, hustete, hustete... Dieser brennivin war ja noch viel schlimmer als das Zeug, das Elías ihr letztens beim Lammen angeboten hatte – es war teuflisch!
    »Nana…« Freundschaftlich klopfte Jói ihr auf den Rücken. »Man fängt mit kleinen Schlucken an. Nicht alles auf einmal.« Lies spuckte und hustete und schämte sich für ihr krebsrotes Gesicht und ihr Gebaren, dass ihr die Tränen durchs Gesicht liefen und dafür, dass ihr die Knie weich wurden, aber nicht etwa vom brennivin , sondern weil Jói so dicht bei ihr stand. Die alten Männer grinsten nur und unterhielten sich weiter auf Isländisch.
    »Wie wäre es, wenn du uns was kochst, während wir arbeiten? Es wird ein gutes Weilchen dauern, da könnten wir einen Koch gut gebrauchen.« Jói lächelte ihr aufmunternd zu.
    Immer noch hochrot vor Verlegenheit nickte Lies und verschwand im Haus, während die Unterhose in Richtung Hochland flatterte. Die Sonne winkte Lies lächelnd hinterher – wenn du wieder herauskommst, sieht die Welt anders aus .
     
    Und so war es. Heuernte ist eine bedeutende Zeit für den Hof, lernte Lies.
    Alles hängt davon ab, ob das Wetter mitspielt, ob die Maschinen funktionieren und ob alles so zügig läuft, wie es nötig ist. Ein Regenschauer kann alles zunichte machen; ein Sturm, ein plötzlicher Schneefall, den es in Island tatsächlich jederzeit geben kann, wie Ari erklärte, und man hat ein schlimmes Futterproblem im nächsten Winter. Heute aber war der Himmel ihnen wohlgesonnen, und Lies staunte, wie hartnäckig auf der bisher so kalten Insel die Sonne vom Himmel brennen konnte – als hätte sie jemand dafür bezahlt. Vielleicht hatte sie ja jemand bezahlt. Lächelnd blieb sie vor dem gefüllten brennivin-G läschen stehen, das jemand zusammen mit einer Wollblume, einem gemusterten Stein und einigen Grasähren auf dem Granitblock neben der Haustür drapiert hatte. Die Sonne brachte den brennivin zum Zwinkern – und der zwinkerte zurück in den Himmel,

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