Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
knarrten, die Männer standen auf, es wurde erst furchtbar voll in der Küche, dann sehr leer. Die Schafsköpfe kochten still vor sich hin.
Lies schälte die Kartoffeln fertig. Eine von Elías’ Lieblingsspeisen waren karamelisierte Kartoffeln, was Lies widerlich fand, aber man musste sie ja nicht zu sehr im Zucker schwenken. Sie war froh, als man sie mit all dem Fleisch, den kochenden Köpfen und hundert Ideen, was man noch zubereiten könnte, allein ließ, um draußen aufzuräumen. Oder den brennivin zu vernichten. Die Lachsalven zumindest ließen darauf schließen. Und sie hatte genug nachzudenken. Das brennivin -Zeug schmeckte übrigens ziemlich stark nach Kümmel, und der Nachhall des Gewürzes kleidete jetzt – einige Zeit später – angenehm ihre Speiseröhre aus. Vielleicht doch nicht so übel, dieses Altmännergesöff, und beim Denken half es auch …
Ein normaler Mensch würde um diese Uhrzeit alles Mögliche machen, aber nicht mehr essen. In Island gingen die Uhren anders.
Das jedenfalls dachte Lies, als sie Stunden später die Männer zum Essen rief. Es war nach elf Uhr nachts, die Sonne blinzelte ein wenig, war aber noch lange nicht müde. Im Juli wurde die Sonne nie müde. Niemand außer Lies war müde. Beherzt goss sie sich einen weiteren Kaffee ein, um mit den Männern mithalten zu können. Denn am Küchentisch begann das große Essen, um die erfolgreiche Heuernte zu feiern, und die Erntehelfer waren so fidel wie am frühen Morgen, so dass Lies sich ihrer Müdigkeit fast schämte. Elías schenkte aus der schwarzen Flasche in die Schnapsgläschen ein, erhob sich etwas wackelig und dankte mit brüchiger Stimme allen für die großzügige Hilfe. Man merkte, dass er so etwas nicht oft tat. Feurig rann der Kümmelschnaps Lies’ Kehle hinab. Sie staunte heimlich, dass sie ihn nun nicht mehr ausspucken wollte, und beschwingt machte sie sich ans Servieren.
Es gab neben der Räucherkeule, von der bereits beträchtliche Stücke fehlten, die stattliche Lammkeule mit Kirschsauce, deren Duft allseits gelobt wurde. Es gab süße Kartoffeln, Pfannkuchen und Rübenmus mit knusprig gebratenen Brotstückchen. Und es gab gleich zu Beginn, quasi als Auftakt zum Fest, zwei Schafsköpfe, die sich im Topf einer seltsamen Verwandlung unterzogen hatten: Sie waren nämlich weich und auf eine merkwürdige Art appetitlich braun geworden. Ari hatte sie aus dem Wasser gezogen, als sich das Fleisch von den Knochen zu lösen begann. Alles Ekelhafte hatten sie im Salzwasser zurückgelassen. Das jedenfalls dachte Lies, als sie den einen Kopf mit Hilfe von zwei Gabeln auf einen Teller setzte. Er erinnerte nun an kein Schaf mehr, das sie je gekannt und gefüttert hatte.
Trotzdem brauchte sie einen weiteren brennivin , um das Messer am Fleisch ihrer Kopfhälfte anzusetzen, an der Backe, wie die Männer es auch taten. Jói trank ihr lächelnd zu. Lies schluckte, versuchte zurückzulächeln, trank aus dem Gläschen. Weiter herauszögern ging nun nicht. Wie Jói es ihr vormachte, kratzte sie die braune Haut herunter und schob sie an den Tellerrand, für später. Das Fleisch dahinter sank wie von selber auf die Gabel.
Es gab kein Entkommen mehr. Es lag da auf der Gabel, lächelte ihr zu. Iss mich. Iss mich doch . Da wo es vorher gesessen hatte, lugte der helle Schädelknochen hervor, nur wenige Fleischfasern hingen noch fest. Ari hatte den Bogen raus, die Köpfe so zu kochen, dass das Fleisch fast vom Knochen fiel und man nicht unwürdig mit dem Messer schaben musste. So gab es keinen Grund, sich zu zieren und lange herumzumachen – das Fleischstück lag auf der Gabel und wollte nicht kalt werden, sondern jetzt gegessen werden.
Dunkel und eigentlich ziemlich appetitlich duftend kam es näher, die Gabel zitterte, die Männer schauten erwartungsvoll drein, Elías ließ das Besteck sinken. Atemlose Stille. Lies schloss die Augen und schob sich das Stück in den Mund.
»Na also. Schafft nicht jeder«, grinste Ari mit vollem Mund und voller Anerkennung.
»Nee, nich«, kam es undeutlich vom kauenden Jói, »meiner letzten Freundin ging’s schlecht danach...«
Elías schwieg. Gespannt sah er Lies beim Kauen zu, sein Schafskopf lag unberührt auf dem Teller. Als Lies die Augen öffnete und seinem Blick begegnete, erkannte sie, wie wichtig das hier war. Der Schafskopf von Gunnarsstaðir schien wie eine Äquatortaufe zu sein …
Und so konzentrierte sie sich auf das Fleisch und entdeckte von Bissen zu Bissen, wie gut es schmeckte.
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