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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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lange herumhantiert, um das Fell abzusengen, und den Geruch nach verbrannten Haaren hatte er mit nach drinnen gebracht. Lies hatte Probleme, sich vorzustellen, dass der eine Schafskopf noch vor einer Stunde draußen geblökt hatte...
     
    Als sie von der Toilette kam, etwas grün im Gesicht und in den Beinen ein flaues Gefühl, hatte Ari sich schon am Herd zu schaffen gemacht. Jedermann schien sich in Elías’ Küche auszukennen, und der Alte fand das in Ordnung und war wie ausgewechselt. Er saß auf der Bank, auf der er immer saß, und zerteilte mit seinem Messer saftige Fleischstücke. Stirnrunzelnd rechnete er nach, wie viele Lämmer dieses Jahr geboren worden waren.
    »... und die Schwarze und die Einäugige und die Braune, die zweite Braune, und Palline – Palline hatte ein totes und ein Böckchen. Oder doch ein Mädchen? Hmmm...«
    »Warum schreibst du dir das eigentlich nicht auf?«, fragte Ari.
    Elías winkte ab. »Ich kenne meine Schafe. Hm, waren nicht so viele Böckchen dieses Jahr … gibt wenig Fleisch …« Grübelnd starrte er auf den Tisch, wo das Fleisch sich häufte. Das jedoch konnte er nicht meinen, und Lies fragte sich, wer um Himmels willen das alles essen sollte.
    Außerdem bemerkte sie, dass Elías das Messer benutzte, mit dem er alles zu zerteilen und schneiden pflegte. Stricke, Nabelschnüre, Pflanzen, Holzgriffe schnitzte, Fingernägel sauber kratzte, Brotscheiben schnitt sowie verfilzte Schafshaare, Drahtschlingen, Kletten aus dem Fell des Spitzes, und Heringsdosen öffnete. Und jetzt das Fleisch des frischgeschlachteten Schafs damit zerteilte. Sie seufzte ergeben. So war das eben. Was einen nicht umbringt, macht einen nur noch stärker.
    »Na, Mädchen – hier.« Ohne zu zögern, nahm Lies das Gläschen brennivin aus Aris Hand und kippte das teuflische Getränk herunter. Sie würde das heute Abend brauchen. Schafskopf.
    » Takk fyrir «, schaffte sie gerade noch, bevor ihr das Blut in den Kopf stieg.
    »Mehr davon?« Ari grinste.
    »Hmmhmhmm...« Sie verschwand hustend in die Speisekammer, wo der Omeletteteig kühl stand, und rang dort nach Luft. Die Männer lachten. Ari hatte einen großen Topf mit Salzwasser aufgesetzt und putzte die Säge aus Elías’ Schuppen unter dem Wasserhahn. Dann setzte er das Werkzeug am Schafskopf an und zersägte ihn in der Mitte, während er eine Anekdote aus Egilstaðir erzählte, wo sich ein Mann bei dieser Prozedur den Finger gleich mit abgesägt hatte.
    »Seine Frau wollte den Finger ja mitkochen«, gluckste er und ließ den ersten zersägten Kopf ins Salzwasser plumpsen. »War schließlich Weihnachten. Sein Sohn, der im Ausland studiert hatte, konnte ihn gerade noch erhaschen und hat ihn in den Kühlschrank ins Schokoladeneis gelegt.«
    »Mit Schokoladeneis hab ich das noch nie gegessen«, wunderte Elías sich. »Vielleicht kam sie ja von den Vestmannaeyjar...« Trotz der trockenen Bemerkung wieherte Ari vor Lachen – die Leute von den Westmännerinseln schienen in Ostisland keine gute Lobby zu haben.
    »Das Gehirn schmeckt übrigens besser mit Schokoladensauce.« Ari sah seinem Schafskopf hinterher und legte den Deckel auf den Kopf. »Hab ich letztens probiert – besser als mit süßem Mus.«
    »Du hast das Gehirn mitgegessen?« Jói sah ihn an wie einen Geistesgestörten. Lies hatte durch Elías’ Essgewohnheiten auch schon einiges erlebt – aber das klang sehr nach Isländerlatein.
    »Wie viel brennivin hast du dazu getrunken?« Seine dunkle Braue tanzte so unnachahmlich, wie sie es noch bei keinem Mann gesehen hatte.
    »Hm, najaaa, weiß nicht mehr. Eure Gehirne hab ich entfernt, keine Sorge.« Aris Bart zuckte, als er einen schnellen Blick auf Lies warf, die versuchte, sich ihren Ekel über all das nicht anmerken zu lassen und gleichzeitig den Blick von Jói zu reißen. Was für eine reizende Geschichte. Was für eine hinreißende Geschichte. Der Doktor schwieg und starrte die Plastiktischdecke an, die Lämmerhirtin starrte Löcher in seinen Pullover. Hinreißend. Ari hatte ja schon so einige Frauen erlebt, die sich Jóis Charme nicht hatten enziehen können, aber das hier – das war – also …
    »Nuuuun – vielleicht ein wenig zu viel.« Er schüttelte lächelnd den Kopf, um seinerseits den Blick von den beiden loszureißen. »Ich denke, heute werde ich mir das gute Backenfleisch schmecken lassen. Zu viel Gehirn soll auch nicht gut sein, das verdreht uns am Ende den Kopf.« Vom brennivin sprach er nicht, niemand sprach mehr. Stühle

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