Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Hände angefühlt hatten, und wie der Fluss geglänzt hatte... Und trotzdem war sie irgendwie froh, als er wieder ging und nicht weiter über den Winter sprach. Stattdessen stürzte sie sich voller Energie in die Vorbereitungen für ein Fest auf Gunnarsstaðir – etwas, das sie noch vor zwei Tagen niemals für möglich gehalten hätte.
Ein Fest auf Gunnarsstaðir.
Brot backen, Kuchen backen, Kartoffeln schälen, Gemüse putzen. Die Räucherkeulen von ihren Leinensäcken befreien. Das war eklig, aber sie empfand echte Neugier, wie es wohl darunter aussah. Und so pellte sie das Fleisch aus seinem Kleid und staunte über die braune, starkriechende Schmierschicht, die das Fleisch überzog und die zum Probieren lockte …
»Du willst nie wieder etwas anderes essen«, hatte Ari gesagt. Lies hobelte sich gleich einen ganzen Kanten davon herunter, weil es tatsächlich unvergleichlich schmeckte – salzig, würzig, rauchig -, sie schmeckte jeden einzelnen ihrer täglichen Gänge zum Räucherhäuschen heraus, jede Bewegung mit dem Schürhaken, jedes neue Anfeuern... Und jeden einzelnen Fluch. Lies grinste.
Es war schwer, sich zurückzuhalten und nicht alles aufzuessen. Lachend deckte sie ein Tuch über die neuentdeckte Köstlichkeit, denn die andere Lammkeule aus der Truhe wartete. Sie galt es zu säubern, von Eisklümpchen zu befreien, mit Knoblauch zu spicken, vorzubraten und mit Kirschsaft aus den heiligen Kirschgläsern zu übergießen – eine reichlich exotische Idee. Aber warum nicht? Und wann, wenn nicht heute? Vergnügt lachend schob sie den Braten wieder in die Röhre. Aus den Kirschen wurde ein wunderbarer Kirschkuchen, wie ihn in ganz Island noch keiner gegessen hatte, und der Duft zog durchs Haus und aus den Fenstern und machte für Ari die Arbeit leichter. Der nahm nämlich hinter dem Haus dem verletzten Schaf, welches Jói nicht mehr heilen konnte, das Leben.
Lies hatte nur kurz aus dem Fenster gesehen – ganz kurz nur, aber das hatte gereicht.
Sie hatte gesehen, dass Ari ein guter Schlachter war, denn er streichelte dem Schaf über den Kopf und klemmte es sich fast liebevoll zwischen die Beine, bevor er ihm die Pistole auf den Kopf setzte, ohne Zögern abdrückte und die Arterie öffnete, damit es rascher ausbluten konnte. Obwohl es tot war, zuckte es noch eine ganze Weile, die dünnen Beine ruderten in der Luft, als wagten sie einen letzten Fluchtversuch. Dann nahm er die Axt und hackte ihm entschlossen den Kopf ab.
Auch das war Island.
Geben und Nehmen.
Lies wurde ganz ruhig, und dann sah sie wieder hin.
Das Schaf lag nun reglos am Boden. Die Sonne strich sanft über das verfilzte Fell, und irgendwie war es gut so. Elías hatte das Schaf großgezogen, vielleicht sogar um sein Leben gekämpft, weil es nicht trinken oder nicht wachsen wollte oder weil es an Durchfall erkrankt war. Vielleicht war es auch von Beginn an putzmunter gewesen und hatte ihn mit Bocksprüngen und Späßen erheitert. Er hatte es im Frühsommer ins Hochland entlassen und im Herbst wieder eingefangen. Er hatte Heu gemacht, und im Winter hatte er es damit von Hand gefüttert und im Sommer wieder auf die große Weide geschickt, damit es kräftig wuchs und gute Muskeln entwickelte. Nun war es krank geworden – er hatte ihm nicht helfen können, und so war es jetzt für ihn da.
Das war gar nicht mehr schrecklich – das war das Leben.
Sie lächelte versonnen, als sie sich wegdrehte.
Das war das Leben.
Ari zeigte ihr auch, wie man Schafskopf kochte.
Sie hatte um Fassung ringen müssen. Die Isländer aßen Schafsköpfe. Schafsköpfe!
»Das ist das Beste vom Schaf«, grinste der Kaufmann. »Und das Auge ist das Allerbeste. Das bekommt immer der Ehrengast am Tisch.« Lies schaute ziemlich entsetzt drein, denn sein Blick ließ darauf schließen, dass er sie, Lies Odenthal, als Ausländerin oder als Köchin oder einfach weil er sie nett fand, hier für den Ehrengast hielt.
»Na dann«, stotterte sie und wandte sich ihren Töpfen wieder zu, in der Hoffnung, dass der Kaufmann Spaß gemacht hatte und sie dem Schafskopf entkommen könnte. Doch Ari hatte anderes im Sinn. Der Eimer, den er neben dem Tisch abgestellt hatte, enthielt nämlich tatsächlich zwei Schafsköpfe, einen frischen und einen aus der Kühltruhe, aus denen abgesägte Hörnerstummel grotesk hervorstachen. Zwei Köpfe machten vier Augen – es musste sich also keiner sorgen, dass kein Auge für ihn übrig blieb. Mit einem lodernden Gasbrenner hatte Ari draußen
Weitere Kostenlose Bücher