Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Ganelon, der sichtbar kochte vor Wut. Karl hatte Ganelon zugenickt und ihm gedankt und dem verschwitzten Mann dann einen Becher Wein gereicht. Einen zweiten hatte er Remi in die Hand gedrückt. Roland hatte er demonstrativ nichts angeboten, aber natürlich hatte Remi seinen Becher an den Freund weitergereicht. Roland hatte ihn ebenso demonstrativ nicht genommen. Seitdem war er mit dunklem Gesicht abseits gestanden.
»Meine Krieger und ich hätten Afdzas lächerlichen Schildwall im Handumdrehen geknackt!«, rief Roland trotzig.
»Tatsache ist aber, dass es einen Befehl zum Rückzug gab«, grollte Ganelon. »Den du missachtet hast, indem du allein auf den feindlichen Feldherrn losgegangen bist und …«
»Afdza stand allein vor seinen Reihen! Es war eine Herausforderung!«, unterbrach Roland seinen Stiefvater.
»Der Rückzugsbefehl war erteilt!«, brüllte Ganelon. »Etwas anderes zählt nicht! Um ein Haar wären die Krieger dir gefolgt!«
»Na und! Dann hätten wir sie weggefegt und hätten jetzt den Weg frei bis Medina Barshaluna!«
»Glaubst du etwa, du kannst einen Mann wie Afdza Asdaq so einfach überlisten wie die Verteidiger von Iruña?«
»Wenn das vor Iruña so einfach war, kannst du mir dann sagen, wieso ich die Belagerung entschieden habe und nicht du?«
Roland und Ganelon standen einander jetzt gegenüber und brüllten einander lauthals an. Turpin seufzte innerlich. Wahrscheinlich würde Karl ihn später nur halb scherzhaft als Friedensstörer bezeichnen, weil er Rolands Zorn herausgefordert hatte. Aber Turpin war der Meinung, dass der Konflikt, der seit Rolands Ernennung zum Paladin zwischen ihm und Ganelon schwelte, lange genug unter der Decke gehalten worden war. Er vergiftete die gesamte Gruppe der Paladine, und wann, wenn nicht heute, mit einer schweren Entscheidung vor Augen, war der beste Zeitpunkt, ihn zu lösen? Allerdings hatte er gehofft, dass Roland etwas sanfter reagieren würde. Schließlich war es Ganelon gewesen, der zusammen mit Remi vor den feindlichen Schildwall geritten war, um Roland zu helfen – entgegen jedem Ehrenkodex, an den sich die Krieger klammerten.
Turpin wusste, warum Roland so gereizt war, als er Ganelons Antwort auf den Vorwurf seines Stiefsohns hörte.
»Wenn es mit Afdza Asdaq so einfach wäre, kannst du mir dann sagen, warum du auf dem Boden gelegen bist und nicht er?«, schrie Ganelon.
Roland keuchte. Turpin verfluchte sich, in der Hektik nicht daran gedacht zu haben, was der eigentliche Grund für die Rivalität zwischen Afdza Asdaq und Roland war: Arima Garcez. Alter Narr, der er war, hatte er nur an ihre momentane Lage gedacht und nicht daran, dass aus Rolands Worten vor allem dessen Herz sprach und weniger das Hirn. Roland fühlte sich tief gedemütigt durch seine erneute Niederlage gegen Afdza, an den er schon die Zuneigung einer Frau verloren hatte, die er liebte; und doppelt gedemütigt dadurch, dass Ganelon und Remi auch gegen jede Konvention losgeeilt waren, um ihm beizustehen.
Turpin räusperte sich, um den Geist, den er losgelassen hatte, wieder einzufangen, und machte es nur noch schlimmer. »Worum es hier geht, ist, dass der König einen Befehl erteilt hat und du deinen eigenen Weg gegangen bist. Du musst deinen Kriegern die Disziplin vorleben, wenn du sie von ihnen einforderst.«
»Königlicher Befehl?«, zischte Roland. »Ich habe nichts von einem königlichen Befehl gemerkt. Es waren Ganelons Reiter, die mit den weißen Wimpeln vor meinem Schildwall aufgetaucht sind.«
»Was spielt das für eine Rolle?«, fragte Ganelon. »Befehl ist Befehl!«
»Ich nehme aber keine Befehle von dir entgegen!«, brüllte Roland. »Ich bin jetzt ein Paladin. Ich habe den gleichen Rang wie du!«
»Halt den Mund, du Grünschnabel!«, fauchte Gerbert de Rosselló. »Würdest du das zu mir auch sagen, wenn ich dir einen Befehl erteile? Oder weitergebe? Ich war schon Paladin, da bist du noch im Hemd hinter den Gänsen hergerannt!«
Turpin verdrehte die Augen. Gerbert war vielleicht zwei Jahre vor Roland in die Gruppe von Karls Elitekriegern aufgerückt. Roland knurrte gereizt und machte Anstalten, Gerbert eine entsprechende Antwort zu geben.
»Worum es geht«, sagte der alte Anskar, »ist, dass du, Roland, ständig das Gebot der Gefolgschaft verletzt. Paladine müssen sich aufeinander verlassen können.«
»Das ist das Einzige, was ich die ganze Zeit höre«, rief Roland mit einem bitteren Unterton. »Gefolgschaft! Gibt es die nur von unten nach oben? Von
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