Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
hervorholten. Dann brachen sie mit ihrer Beute nach Susatum auf.
Der Gefangene war der Mann, der mit ihnen in Geiske genächtigt hatte. Als sie aufgebrochen waren, war er schon weg gewesen, doch weit war er nicht gekommen. Er zog eine resignierte Miene und zuckte mit den Schultern, als Turpin ihn fragend ansah. Die Sachsen hatten nichts dagegen, dass ihre Gefangenen sich unterhielten, während sie in eiligem Trab in Richtung Westen ritten. Der einsame Gefangene wiederum hatte Redebedürfnis.
»Seid ihr Franken?«, stieß er in gutem Fränkisch hervor. Er wechselte zu dem Dialekt, den auch ihre Überwältiger sprachen: »Oder Sachsen?« Und zu guter Letzt auf Latein und hauptsächlich an Turpin gewandt: »Oder Römer?«
»Wer will das wissen?«, fragte Turpin.
»Na … ich.«
Roland grinste in seine Kapuze hinein. Turpin räusperte sich. »Und hast du zufällig auch einen Namen?«
Der Mann sagte etwas, das sich anhörte wie eine Halsentzündung.
»Alkuini?« Turpin war erstaunlich nahe dran. Dennoch schüttelte der Mann der Kopf.
»Es ist keine Schande, wenn man mit meinem Namen Schwierigkeiten hat«, sagte er. »Man spricht es anders, als man es schreibt: E-a-l-h-w-i-n-e …«
»Ich wette, sogar deine Mutter hatte ihre liebe Not damit«, sagte Remi.
Der Mann ging nicht darauf ein. »Ich komme aus Mercia.« Er deutete mit dem Kopf vage in Richtung Nordwesten. »Ich bin Angelsachse. Und ihr …?«
»Ich bin der Bischof von Reims«, sagte Turpin besonders laut, vermutlich damit die Sachsen nicht zweifelten, dass sie einen dicken Fisch gefangen hatten. »Meine beiden Brüder in christo und ich sind auf dem Weg von der Karlsburg zurück in meine Diözese …«
»Waren«, korrigierte Ealhwine trocken.
Turpin schwieg irritiert. Roland grinste noch breiter im Schatten seiner Kapuze. Offenbar war Ealhwine jemand, der es mit den Worten ganz genau nahm.
Diese Vermutung wurde bestätigt, als der Fremde ausführte: »,Waren’ im Sinn von: Wir waren auf dem Weg nach Reims, weil ihr es jetzt ja nicht mehr seid und es ganz so aussieht, als dauerte es noch eine Weile, bis ihr eure Reise fortsetzen könnt.«
Turpins Entgegnung war anzuhören, dass er auf diese spitzfindigen Erläuterungen gut hätte verzichten können. »Ach ja? Und wohin warst du unterwegs, du Hüter des Wortes?«
»Nach Ravenna«, sagte Ealhwine schlicht.
»Das ist ein ziemlich weiter Weg«, brummte Turpin.
Ealhwine schien nachzudenken. »Etwa das Doppelte von dem, was ihr vor euch habt, schätze ich.« Er verbesserte sich: »Was ihr vor euch hattet .«
Turpin verdrehte die Augen. »Die warten bestimmt voller Ungeduld auf dich in Ravenna.«
»Das hoffe ich doch. Sie haben mich eingeladen. Ich habe an der Domschule in York unterrichtet und soll Bischof Leo, den Erzbischof von Ravenna, dabei beraten, wie er auch in seinem Bistum eine Domschule aufbauen kann.«
Roland vernahm erstaunt, dass es mächtige Männer wie den Erzbischof von Ravenna gab, die sich mit solch nebensächlichen Dingen wie der Gründung einer Schule befassten. Bei den Franken kümmerte sich niemand darum. König Karl, so hieß es, war zwar fasziniert von der Kunst des Schreibens und Lesens, hatte sie jedoch selbst nie gemeistert und schien auch nicht vorzuhaben, seinen Kriegern die Beherrschung dieser Fähigkeiten ans Herz zu legen. Männer – und ganz besonders Herrscher wie ein Erzbischof – sollten sich mit der Erweiterung ihres Einflusses, der Ausdehnung ihres Besitzes und der Vergrößerung ihrer Macht beschäftigen und nicht mit … Schulen!
Von Weitem sah Susatum aus, als sei alles friedlich. Doch die Tore der Burg, durch die der Hellweg wie bei allen anderen Wegstationen mitten hindurch führte, waren geschlossen. Die verstreuten Feuerstellen außerhalb der Palisade, auf denen in riesigen Tonkrügen das salzhaltige Wasser Tag und Nacht eingedampft wurde, um Salz zu gewinnen, waren gelöscht, die Rauchsäulen, die über Susatum zu stehen pflegten, verschwunden. Statt der Arbeiter saßen und standen sächsische Krieger neben den Feuerstellen. Was aus den Arbeitern geworden war, ließ sich nicht feststellen, aber als Roland und die anderen näher herangekommen waren, erfuhren sie zumindest, welches Schicksal die fränkische Burgbesatzung erlitten hatte. Raben und andere Vögel kreisten über einer Stelle, die aussah, als hätte man alte Kleidung dort auf einen Haufen geworfen. Verwesungsgeruch wehte herüber.
Nachdem man sie in den Innenhof der Burg eingelassen
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