Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Erleichterung breitete sich in Roland aus; zugleich stieg Beklommenheit in ihm empor. Er hoffte inständig, dass er sich nicht zu viel vorgenommen hatte.
Turpin war der letzte in der Reihe. »Weißt du, auf wen ich bei deinem Wettkampf gegen Puvis letztens gesetzt habe, mein Junge?«, fragte er grinsend.
Roland lächelte. »Auf mich, ehrwürdiger Vater?«
»Nein, auf Puvis. Aber diesmal will ich es wagen, auf dich zu setzen. Wir brechen morgen auf.«
Am nächsten Tag ritt eine Dreiergruppe durch das Handwerkerdorf an der Kreuzung von Hellweg und Weinstraße und wandte sich dort nach Westen. Wer nicht an der Karlsburg oder auf den Feldern arbeitete, lief zusammen, um die Reisenden zu bestaunen. Der Anführer war ein Mann in vollem bischöflichen Ornat, dessen Farben und Goldstickereien im trüben Regenlicht schimmerten; seine beiden Begleiter waren Mönche, die sich unter ihren Kutten wie verrückt kratzten. Den Gaffern schien es ganz natürlich, dass die Mönche ihre Kapuzen tief in die Gesichter gezogen hatten; immerhin regnete es. Weniger natürlich wäre es ihnen erschienen, hätten sie einen Blick unter die Kapuzen werfen können: Die Mönche trugen keine Tonsur, sondern das Haar lang. Als die Reisegruppe das Dorf durchquert hatte, entstand ein Streit um die Äpfel, die die Pferde hatten fallen lassen. Pferdemist war zu allen Zeiten ein beliebter Dung, den man zur Not in der bloßen Hand von der Straße in den eigenen Garten trug; Pferdemist von heiligen Männern jedoch hatte mit Sicherheit eine noch größere Wirkung und war es wert, dem Nachbarn einen Ellbogen in die Magengrube zu rammen.
»Ich weiß nicht, was mehr juckt«, stöhnte Remi. »Der Stoff der Kutte oder die Läuse, die darin sind.«
»Nimm dir ein Beispiel an mir, wie gelassen ich es ertrage«, sagte Roland, der sich noch heftiger kratzte als Remi und alle paar Schritte den eigentlichen Besitzer seiner Kutte lauthals verfluchte.
Turpin sagte nichts. Er ritt zwei, drei Pferdelängen voraus, und wenn Roland zu ihm aufgeschlossen wäre, hätte er sehen können, dass er sich nur mit Mühe das Lachen verbiss.
Der Plan war, sich entweder auf der Straße von sächsischen Kriegern gefangennehmen zu lassen oder, wenn das nicht klappen sollte, in Burg Susatum scheinbar ahnungslos um Nachtasyl zu bitten. Roland war der Überzeugung, dass die Alternative nicht zum Tragen kommen würde. Scurfa, dessen Stellung als Heritogo der eines fränkischen Dux entsprach, war ein unversöhnlicher, brutaler, leider aber auch schlauer Mann. Andernfalls hätte er sich nicht an der Spitze eines sächsischen Stammes halten können. Scurfa würde die Straße in weitem Umkreis um Susatum überwachen lassen und wusste vermutlich bereits, dass drei Geistliche auf dem Weg nach Westen waren. Er würde sich die Gelegenheit, die Vertreter der verhassten neuen Ordnung und des ebenso verhassten neuen Glaubens festzunehmen, nicht entgehen lassen. Da anzunehmen war, dass Scurfa auch die Karlsburg zumindest von Weitem ausspionierte, hatte Turpin vorgeschlagen, dass Karl demonstrativ Vorbereitungen zu einer Strafexpedition treffen ließ. Scurfa musste den Eindruck gewinnen, dass Karl in Reaktion auf Dados makabre Botschaft zu einem Angriff auf Burg Susatum rüstete und dass der an seinem Hof befindliche Bischof sich aus dem Staub machte, weil er nicht in die Kriegshandlungen verwickelt werden wollte. Roland sagte sich, dass er, wäre er an Scurfas Stelle gewesen, den Köder vermutlich geschluckt hätte.
Am Abend hatten sie Geiske erreicht, einen der in Tagesabständen auf dem Hellweg errichteten Königshöfe, den nur eine zwei Mann hohe Holzpalisade mit den obligatorischen Toren im Osten und Westen von einem beliebigen Weiler unterschied. Selbst das Herrenhaus war hier aus Holz, die große Halle nichts weiter als ein bis zu den Dachsparren offener Raum, der fast die gesamte Länge des Hauses einnahm und in dem man die schwarzgeräucherte Unterseite des Reetdachs bewundern konnte. Zum Schlafen musste man sich auf den Boden legen – die Halle diente zugleich als Schlafsaal. In unmittelbarer Nähe der Karlsburg von Patris Brunna war es unnötig, noch großen Luxus zu betreiben in einem Hof, der nichts weiter war als die letzte Wegstation vor dem Ziel.
Sie hatten debattiert, ob sie nicht lieber im Freien lagern sollten – um Scurfa eine Gelegenheit zu geben, sie festzunehmen. Aber es hätte der Rolle des Bischofs widersprochen – oder dem Verständnis, das die Sachsen von den
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