Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
und auch auf sie persönlich gerichtet hatten, Mitgefühl mit Ganelon, der angesichts der Lage nichts anderes tun konnte, als sich zu ergeben, Hass auf den brutalen Anführer der Sachsen, Fassungslosigkeit über den kaltblütigen Mord an einem der Krieger Ganelons, nur damit man ihn als makabren Boten verwenden konnte … Nur eines hatte sie nicht verspürt: Furcht um sich selbst. Eine einzige Bemerkung Afdzas hatte genügt. Bevor man sie alle gefesselt und weggeschleppt hatte, hatte er ihr zugeraunt: »Keine Sorge, ich bringe uns hier wieder heraus.« Sie verstand selbst nicht, wie es zugehen konnte, dass dieser Mann mit ein paar Worten und einem hastigen Lächeln eine solche Gewissheit in ihr hervorrufen konnte. Er hatte es gesagt, und sie hatte es geglaubt.
Sie hatte es geglaubt, als man sie alle in die Burg gebracht hatte, aus der die Sachsen gerade die getötete Besatzung schleiften; geglaubt, als man sie in die große Halle des Palas befohlen, Ganelon von ihnen getrennt und alle Mauren und alle überlebenden Frankenkrieger gefesselt hatte; selbst dann noch geglaubt, als der Anführer der Sachsen sich vor ihr aufgebaut und nachdenklich gesagt hatte, dass er mit der Freilassung der Mauren noch eine weitere Forderung an König Karl verknüpfen werde, nämlich Arima als Sklavin den Sachsen zu überantworten. So sicher war sie in der Gewissheit gewesen, Afdza würde sein Versprechen halten, dass sie auf die letzte Drohung gelassen geantwortet hatte: »Drei Tage mit mir unter einem Dach, Sachse, und du wärst mein Sklave.«
Die Sachsenkrieger hatten Arimas Bemerkung deutlich erheiternder gefunden als ihr Anführer, aber trotz seiner sichtbaren Wut hatte er ihr nichts angetan. Sie war auf Schläge gefasst gewesen. Der Mann hatte sich jedoch nur abgewendet.
Obwohl die Sachsen den Eingang zur Halle von außen verrammelt hatten, hatte man ihnen die Handfesseln nicht abgenommen. Arima vermutete, dass es daran lag, dass hier drinnen keine Sachsenkrieger zu ihrer Bewachung abgestellt waren. Das Häuflein der Rebellen war klein; ihr Anführer brauchte offenbar jeden Mann draußen. Die Gefangenen konnten sich in der Halle frei bewegen, weil sie keine Fußfesseln trugen – mit einer Ausnahme, die der Rebellenführer angeordnet hatte, nachdem er von Arima abgelassen hatte. Er schien ein gutes Auge dafür zu haben, wer ihm gefährlich werden konnte. Die Ausnahme war Afdza Asdaq, den die Sachsen mit zwei Handschellen an kurzen Ketten an die Wand gefesselt hatten. Der Maure hatte sich nicht gewehrt, sondern nur Arima die ganze Zeit über angelächelt.
Als Lager diente den Gefangenen eine Strohschütte. Eine zweite in der entferntesten Ecke der Halle war der Abort, aber die Belästigung hielt sich in Grenzen, weil sie seit ihrer Gefangennahme nichts zu Essen und nur wenig zu Trinken bekommen hatten. Arima vermutete, dass dies die Belohnung für ihre Unverschämtheit gegenüber dem Rebellenanführer war.
Alle Gefangenen blickten auf, als sie das Scharren des Türriegels hörten. Gleich danach traten drei Sachsenkrieger ein, die einen weiteren Gefangenen mit sich führten. Es war ein hagerer Mann, dessen zurückweichendes Stirnhaar nur noch eine dünne Trennlinie zu seiner Tonsur bildete und dessen Bart mit ersten grauen Strähnen durchzogen war. Er spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Halle, der das Regenwetter draußen zusätzliche Düsternis verlieh.
Betont gleichgültig blickten Mauren und Franken zu Boden. Die Sachsen zogen die Eingangspforte hinter sich zu. Zwei von ihnen schoben den Gefangenen in Richtung der Strohschütte, der dritte gaffte Arima an, wie er es schon am ersten Tag getan hatte. Er war noch ein junger Bursche, sein Bartwuchs ein Flaum. Arima nickte ihm lächelnd zu und spitzte die Lippen zu einem Küsschen. Die Gesichtszüge des jungen Sachsen zogen sich überrascht in die Breite, während Röte in seine Wangen stieg. Arima wandte sich ab und schaute zu der Stelle, an der Afdza an die Wand gekettet war. Der Sachse folgte ihrem Blick unwillkürlich.
Die Handschellen baumelten leer an der Wand. Der Sachse fuhr zu Arima herum, die freundlich in Richtung Dach deutete. Der junge Bursche stierte mit offenem Mund nach oben.
Roland starrte zu Ganelon hinauf. Für ein paar Momente vergaß er, sich gegen die Sachsen zu wehren, die ihn, Turpin und Remi hierher geschleppt hatten. Man hatte Ganelon mit Lederriemen umwickelt, die seine Arme fest an seinen Körper pressten, und ihn so in Kopfhöhe an die
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