Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
Konstellationen. Aber es bereitet mir keine Freude, ich verspüre nicht das geringste Vergnügen, denn mir tut alles weh – das Gesicht, die Seite, wo sich der Lauf der Schusswaffe hineingebohrt hat, der Hinterkopf, wo er gegen die Wand geschlagen ist –, und ich denke, Palace, du Niete . Denn wenn ich einfach in die Vergangenheit reisen und die Dinge klarer sehen, sie schneller richtig sehen könnte, hätte ich den Zell-Fall bereits gelöst – und es gäbe keinen Eddes-Fall. Naomi wäre nicht tot.
Die Fahrstuhltür öffnet sich, und ich betrete die Kabine.
Niemand sonst steigt ein; nur ich, der hochgewachsene, stille, einäugige Polizist, der mit den Fingern auf dem Schild auf und ab fährt wie ein Braille-Schrift lesender Blinder, im Versuch, die Antworten dort abzulesen.
Ich fahre eine Weile mit dem Fahrstuhl, ein paarmal hinauf, ein paarmal hinab. »Wo«, murmle ich vor mich hin, »wo könntest du’s aufbewahren?« Denn irgendwo in diesem Gebäude gibt es einen der Hundehütte bei J.T. Toussaint vergleichbaren Ort, wo noch nicht verkaufte Ware und unrechtmäßig erworbene Gewinne gehortet werden. Aber ein Krankenhaus ist ein Ort voller Orte – Lager- und Behandlungsräume, Büroräume und Flure –, vor allem ein Krankenhaus wie dieses, chaotisch, zerstückelt, mitten in der Renovierung eingefroren, ist ein Ort voller Orte.
Schließlich gebe ich’s auf, steige im Keller aus und treffe Dr. Fenton in ihrem Büro unweit der Leichenhalle an, einem kleinen, mustergültig aufgeräumten Büro, geschmückt mit frischen Blumen, Familienfotos und einem Druck von Michail Baryschnikow und dem Bolschoi-Ballett, 1973.
Fenton wirkt überrascht und keineswegs erfreut, mich zu sehen, als wäre ich eine Gartenplage, vielleicht ein Waschbär, den sie losgeworden zu sein glaubte.
»Was ist?«
Ich erkläre ihr, was sie für mich tun soll, und frage sie, wie lange es normalerweise dauert. Sie runzelt die Stirn und sagt: »Normalerweise?«, als hätte das Wort keine Bedeutung mehr, aber ich sage: »Ja, normalerweise.«
» Normalerweise zwischen zehn Tagen und drei Woche n«, sagt sie. »Obwohl ich beim gegenwärtigen Zustand des Personals im Hazen Drive denke, wohl eher vier bis sechs Wochen.«
»Okay – gut – kriegen Sie’s bis morgen früh hin?«, frage ich und warte auf das verächtliche Gelächter, wappne mich, überlege mir, auf welche Weise ich darum bitten werde.
Aber sie nimmt die Brille ab, erhebt sich von ihrem Stuhl und sieht mich aufmerksam an. »Warum geben Sie sich solche Mühe, diesen Mordfall zu lösen?«
»Weil …« Ich hebe die Hände. »Weil er ungelöst ist.«
»Okay«, sagt sie und erklärt mir, dass sie es machen wird, sofern ich ihr verspreche, sie nie wieder anzurufen oder aufzusuchen, egal aus welchem Grund, ein für alle Mal.
Und dann, auf dem Rückweg zum Fahrstuhl, finde ich ihn, den Ort, den ich gesucht habe, und mir stockt der Atem – meine Kinnlade fällt herunter, und mir stockt buchstäblich der Atem –, und ich sage: »O mein Gott«, meine Stimme hallt durch den Betonflur im Keller, und dann mache ich kehrt und laufe zurück, um Fenton um noch etwas zu bitten.
Mein Handy funktioniert nicht. Keine Balken. Kein Empfang. Es wird immer schlimmer.
Ich sehe sie vor meinem geistigen Auge: vernachlässigte Mobilfunkmasten, die sich langsam neigen und dann umstürzen, herabhängende Leitungen, tot.
Ich fahre zur Bücherei zurück, stecke Münzen in die Parkuhr. Ich warte vor der Telefonzelle, und als ich dran bin, erreiche ich Officer McConnell zu Hause.
»Oh, hey, Palace«, sagt sie. »Sie arbeiten doch in der oberen Etage. Wollen Sie mir nicht sagen, was in aller Welt da oben vorgeht? Bei den Chefs?«
»Ich weiß es nicht.« Mysteriöse Männer mit Sonnenbrillen. McGully, hier läuft irgendeine Scheiße . »Ich brauche Ihre Hilfe, Officer. Haben Sie irgendwas anzuziehen, außer Hosen?«
»Wie bitte?«
McConnell schreibt sich auf, wohin sie gehen soll und wann, wo Dr. Fenton sich morgen früh mit ihr treffen wird. Vor der Telefonzelle bildet sich eine Schlange. Die alte Dame mit dem Einkaufswagen aus dem Eisenwarenladen ist wieder da und winkt mir mit beiden Armen, als wollte sie mich begrüßen. Hinter ihr ein Geschäftsmann im braunen Anzug mit Aktenkoffer, eine Mutter mit zwei Mädchen. Ich zeige ihnen durchs Glas der Telefonzelle hindurch meine Marke, bücke mich und versuche, es mir in diesem winzigen hölzernen Kabuff bequem zu machen.
Ich funke Detective Culverson an
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