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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Winters
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Hainbuchenblatt, das ich beobachtet habe, ist fort. Ich suche es und glaube sehen zu können, wo es gelandet ist, ein schwarzer Klecks im Matsch der Rasenfläche. Ich rufe Bill Eddes erneut an, aber niemand nimmt ab.
    Vor der Telefonzelle steht eine aufgeregt wirkende alte Dame, die sich über einen kleinen Einkaufswagen mit Metallgitterkorb beugt, wie man ihn im Eisenwarenladen bekommt. Ich hebe einen Finger, lächle entschuldigend und rufe Bill Eddes ein drittes Mal an, und ich bin ganz und gar nicht überrascht, als sich niemand meldet und das Telefon abrupt zu klingeln aufhört. Naomis Vater, in seinem Wohnzimmer oder seiner Küche, hat das Telefon aus der Wand gerissen. Langsam wickelt er das dünne graue Kabel um den Apparat und stellt ihn auf ein Bord in einem Schrank, wie man etwas wegpackt, woran man nie wieder denken will.
    »Verzeihung, Ma’am«, sage ich, halte der alten Dame mit dem Einkaufswagen die Tür auf, und sie fragt: »Was ist denn mit Ihrem Gesicht passiert?«, aber ich antworte nicht. Ich verlasse die Bücherei, ich kaue auf einem Ende meines Schnurrbarts, eine Hand über meinem Herzen, ich umfasse es, spüre, wie es schlägt – heiliger Bimbam – das ist es – heiliger Bimbam – ich beschleunige meine Schritte, renne jetzt über die aufgeweichte Rasenfläche zurück zum Wagen.
    Concord ist eine so kleine Stadt, hundertfünfundsiebzig Quadratkilometer inklusive aller Außenbezirke, und wie lange braucht man schon von der Innenstadt zum Krankenhaus, wenn keine anderen Autos auf der Straße sind? Zehn Minuten, nicht genug Zeit, um mir alles zusammenzureimen, aber Zeit genug, um zu der festen Überzeugung zu gelangen, dass ich es mir schon noch zusammenreimen werde, dass ich jetzt Bescheid weiß, dass ich diesen Mordfall – diese Mordfälle, zwei Morde, ein Mörder – lösen werde.
    Und schon bin ich an der Kreuzung Langley Parkway und Route 9 und schaue zum Concord Hospital auf, das wie eine Kindermodellburg auf seinem Hügel steht, umgeben von seinen Nebengebäuden, seinen weitläufigen Parkplätzen, Bürotrakten und Kliniken. Der neue, endgültig unvollendete Flügel, Stapel von Bauholz, Glasscheiben, unter Planen verborgene Gerüste.
    Ich fahre auf den Parkplatz, bleibe im Wagen sitzen, trommle mit den Fingern aufs Lenkrad.
    Bill Eddes hat aus einem bestimmten Grund so reagiert, und ich kenne ihn.
    Diese Tatsache impliziert eine zweite Tatsache, die mich wiederum zu einer dritten führt.
    Es ist, als beträte man einen dunklen Raum, und unter einer Tür auf der anderen Seite fiele ein dünner Spalt blassen Lichts herein. Man öffnet diese Tür, und sie führt in einen zweiten Raum, in dem es etwas heller ist als im letzten, und auf der anderen Seite ist eine weitere Tür, unter der ebenfalls Licht hindurchfällt. Und so geht man immer weiter, ein Raum nach dem anderen, immer mehr Räume, immer mehr Licht.
    Als ich das letzte Mal hier war, brannten die kugelförmigen Lampen über dem Haupteingang noch alle, aber jetzt sind zwei von ihnen erloschen, und das sagt eigentlich alles. Die Welt verfällt Stück für Stück, jedes Element erodiert in seinem eigenen erratischen Tempo, alles zittert und zerbröckelt im Voraus, der Schrecken der bevorstehenden Verwüstung selbst schon eine Verwüstung, und jede kleine Erosion hat ihre Folgen.
    Hinter der hufeisenförmigen Anmeldung in der Eingangshalle sitzt heute keine freiwillige Helferin, auf den Sofas hockt nur eine Familie in einem kleinen, ängstlichen Knäuel beieinander, Mutter, Vater, Kind, und sie blicken auf, während ich vorbeigehe, als brächte ich vielleicht die schlechte Nachricht, auf die sie warten. Ich nicke entschuldigend, und dann stehe ich da, drehe mich in alle Richtungen, versuche mich zu orientieren, suche nach Fahrstuhl B.
    Eine Schwester in OP-Kleidung eilt an mir vorbei, bleibt an einer Tür stehen, murmelt: »Oh, Mist«, und kehrt wieder um.
    Ich glaube, ich weiß jetzt, wohin ich muss, gehe zwei Schritte, und mein verbundenes Auge meldet sich mit einem jähen Schub heftiger Schmerzen. Ich schnappe nach Luft, hebe die Hand, um es zu berühren, und schüttle den Schmerz ab, keine Zeit jetzt.
    Schmerz, weil – was hat Dr. Wilton mir noch gleich erzählt, während sie mir Mull um den Kopf gewickelt hat? Im Krankenhaus herrscht momentan ein Mangel an Palliativmitteln.
    Fakten verbinden sich selbsttätig, erwachen in meinem Gedächtnis leuchtend zum Leben und verbinden sich dann miteinander, formen Bilder wie stellare

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