Der letzte Regent: Roman (German Edition)
lag eine weitere Ironie, die individueller, persönlicher Natur war. Hier ruhe ich seit zweitausend Jahren, dachte Zayac, aber wie selten geschieht es, dass jemand kommt, um mir Fragen zu stellen. Selbst Tabatha M Belote, die junge Mortus, die sich während ihres Wachdienstes oft Zeit nahm, um mit ihm zu sprechen, selbst sie fragte ihn nicht nach seiner Geschichte.
Er hätte sie ihr gern erzählt.
Vielleicht ergab sich irgendwann Gelegenheit dazu.
Aber zunächst erzählte er ihr etwas anderes, er flüsterte es ihr zu, durchs Kommunikationsnetz der Stillen Stadt, und es betraf den letzten Eindringling.
VI
Mallory wusste, dass sich die Jagd dem Ende entgegenneigte. Seine Gefährten lagen tot in der Stadt, von Pulsern verbrannt oder von Projektilen zerrissen, und die Akkumulatoren seines Schutzanzugs meldeten eine Reserve von nur noch neun Prozent. Wenn der Phasenmodifikator ausfiel, würden ihn die Sensoren und Mikromaschinen der Stillen Stadt sofort entdecken. Die Augen lebender Geschöpfe konnte er täuschen, und vielleicht auch die von Morti, das hatte er gelernt und im Weltwald von Bluestone, von dem die Kognitionssporen in seinen Symbionten stammten, bewiesen. Aber hier hatte er es vor allem mit Augen zu tun, die nie lebendig gewesen waren, mit den kalten, immer aufmerksamen Augen von Maschinen.
Er beobachtete die Prozession, im Schatten einer Gasse zwischen zwei Gebäuden verborgen und vom Phasenfeld geschützt, und begriff, dass sie seine einzige Chance war. Und vielleicht sogar mehr als das. Möglicherweise bot sie ihm Gelegenheit, ins Zentrum zu gelangen, in unmittelbare Nähe der wichtigsten Geheimnisse des Regenten.
Die Lebenden aus dem Transporter schritten zu dritt nebeneinander über die regennasse Straße, die zur schwarzen Pyramide führte, wo der Tod auf sie wartete. Morti eskortierten sie, keine Wächter, sondern eine Ehreneskorte. Es waren Auserwählte, Männer und Frauen, die große Verdienste im Endurium erworben hatten. Zur Belohnung dafür durften sie sterben, um ein neues, längeres Leben zu beginnen.
Vielleicht war es das größte Geheimnis des Regenten, dachte Mallory und folgte der Prozession, huschte in den Schatten von Gasse zu Gasse und nutzte manchmal die Phase, um Gebäudewände zu durchdringen. Vielleicht konnte er herausfinden, was es damit auf sich hatte.
Bei sieben Prozent Akkumulatorladung blieb ihm kein Handlungsspielraum mehr – er musste sofort agieren. Sein Überleben hing jetzt von einer einfachen Frage ab: Waren die Sensoren der Stadt imstande, ihn von den anderen lebenden Menschen zu unterscheiden?
Er suchte sich eine Stelle, die ihm geeignet erschien: ein dunkler Gebäudeeingang, nur wenige Schritte von der Prozession entfernt. Dort wartete er, bis das Gros der Vivi an ihm vorbei war, streifte den Schutzanzug ab, mit dem er sofort aufgefallen wäre … und schaltete den Phasenmodifikator aus.
Nichts geschah, als er aus dem Eingang trat und sich der Prozession anschloss. Es rasten keine Lokalisatoren oder Identifikatoren heran; die warnenden Stimmen von Sirenen blieben aus. Einige erstaunte Blicke trafen ihn, aber diese Vivi interessierten sich viel zu sehr für die schwarze Pyramide. Es waren mehr als hundert, und Mallory bezweifelte, dass sie sich alle untereinander kannten. Er setzte keine Kognitionssporen frei, denn sie wären sofort als fremde Lebensformen identifiziert worden, doch er machte von seinen besonderen Fähigkeiten als Chamäloide Gebrauch: Er verschmolz mit der Gruppe, tauchte in ihr unter, wurde unauffällig, obwohl er andere Kleidung trug und größer war als die meisten anderen.
Die Vivi flüsterten aufgeregt, als sie sich der Pyramide näherten. Die Morti schritten mit grauen, unbewegten Gesichtern neben ihnen. Ein Alarm blieb aus. Niemand achtete auf Mallory.
Bis sie den großen, dreieckigen Eingang der Pyramide erreichten. Dort warteten weitere Morti, und diesmal handelte es sich nicht um eine Ehreneskorte.
Dort standen Soldaten der Streitkräfte, ließen ihre Blicke über die Vivi streichen und suchten jemanden.
Sie können nichts von mir wissen, dachte Mallory, während vorn die ersten Lebenden in der Pyramide verschwanden. Ich bin ein Vivus unter vielen. Meine Biosignatur haben sie nicht, denn sonst wäre längst ein Alarm ausgelöst worden.
Aber … Vielleicht war kein Alarm erfolgt, weil er nicht vorgewarnt werden sollte.
Einer nach dem anderen traten die Vivi an den Soldaten vorbei ins dunkle Innere der Pyramide. Niemand von
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