Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
haben. Hätten Sie in einem Hansom in der Mitte gesessen, würden Sie vielleicht gar keine Spritzer abbekommen haben, und wenn doch, so links und rechts. Das besagt klar, daß Sie an der Seite gesessen haben. Das besagt ebenso klar, daß Sie einen Mitfahrer hatten.«
»Das ist ganz offensichtlich.«
»Ein alberner Gemeinplatz, nicht wahr?«
»Aber die Schuhe und das Bad?«
»Genauso kinderleicht. Sie haben die Gewohnheit, die Schuhe auf immer die gleiche Weise zu schnüren. Ich sehe nun plötzlich, daß sie mit einer sorgfältigen Doppelschleife zugebunden sind, was nicht Ihre Art ist, die Senkel zu binden. Sie hatten die Schuhe also ausgezogen. Wer hat sie wieder zugeschnürt? Ein Schuhmacher – oder ein Gehilfe im Bad? Unwahrscheinlich, daß es der Schuhmacher war, da Ihre Schuhe ziemlich neu sind. Nun, was bleibt übrig? Das Bad. Ganz einfach, finden Sie nicht? Und dennoch, das Türkische Bad hatte einen bestimmten Zweck.«
»Und der wäre?«
»Sie sagten, Sie sind hingegangen, weil Sie eine Abwechslung brauchten. Lassen Sie mich Ihnen auch eine Abwechslung vorschlagen. Was halten Sie von Lausanne, mein lieber Watson – Fahrkarte erster Klasse, und alle Kosten werden fürstlich bezahlt!«
»Ausgezeichnet! Aber wieso?«
Holmes lehnte sich in den Armstuhl und zog sein Notizbuch aus der Tasche.
»Eine der gefährlichsten Klassen in der Welt«, sagte Holmes, »ist die der umherreisenden Frau, die keine Freunde hat. Sie ist das Argloseste, oft auch Nützlichste unter den Sterblichen, doch sie ist auch der unausweichliche Anstifter zu Verbrechen. Sie ist hilflos. Sie ist eine Nomadin. Sie hat ausreichend Mittel, von Land zu Land, von Hotel zu Hotel zu ziehen. Sehr oft verschwindet sie im Labyrinth zweifelhafter Pensionen und Logierhäuser. Sie ist ein umherirrendes Küken in einer Welt von Füchsen. Hat es sie verschlungen, wird sie kaum vermißt. Ich fürchte sehr, daß Lady Frances Carfax etwas Böses widerfahren ist.«
Sein plötzlicher Abstieg vom Allgemeinen zum Besonderen erleichterte mich. Er schaute in seine Notizen.
»Lady Frances«, fuhr er fort, »ist die einzige Überlebende aus der engeren Familie des verstorbenen Earl of Rufton. Die Besitzungen gingen, wie Sie sich erinnern werden, auf die männliche Linie über. Ihr blieben begrenzte Mittel, aber auch einige ausgezeichnete alte spanische Schmuckstücke aus Silber und merkwürdig geschliffene Diamanten, die sie sehr schätzte – zu sehr schätzte, denn sie weigerte sich, sie auf der Bank zu deponieren, und führte sie immer mit sich. Eine ziemlich rührende Gestalt, diese Lady Frances, eine wunderschöne Frau, im besten Alter und doch irgendwie nur noch der Rest von etwas, das zwanzig Jahre zuvor eine prächtige Flotte war.«
»Was ist ihr zugestoßen?«
»Ja, was ist Lady Frances zugestoßen? Lebt sie, oder ist sie tot? Da liegt unser Problem. Sie ist eine Dame von exakten Gewohnheiten, und seit vier Jahren schrieb sie regelmäßig jede zweite Woche an Miss Dobney, ihre alte Gouvernante, die sich längst zurückgezogen hat und in Camberwell wohnt. Es ist diese Miss Dobney, die mich konsultierte. Fast fünf Wochen sind ohne eine Mitteilung vergangen. Der letzte Brief kam vom Hotel ›National‹ in Lausanne. Lady Frances scheint von dort weggezogen zu sein, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Die Familie ist besorgt, und, da sie ja unermeßlich reich ist, wird sie keine Kosten scheuen, damit wir den Fall aufklären können.«
»Ist Miss Dobney die einzige Informationsquelle? Sollte die Dame nicht noch andere Briefpartner gehabt haben?«
»Ja, es gibt einen, der eine sichere Spur bietet, Watson. Nämlich die Bank. Alleinstehende Damen müssen leben, und ihre Scheckbücher sind komprimierte Tagebücher. Sie hat ihr Konto bei Silve ster. Ich habe das Guthaben eingesehen. Mit dem vorletzten Scheck wurde ihre Rechnung in Lausanne bezahlt, aber der Scheck lautete auf eine beträchtliche Summe, und ihr ist wahrscheinlich Bargeld geblieben. Seither ist nur noch ein Scheck präsentiert worden.«
»Zu wessen Gunsten und wo?«
»Zugunsten von Miss Marie Devine. Nichts deutet daraufhin, wo der Scheck ausgestellt worden ist. Eingelöst wurde er vor weniger als drei Wochen bei der Credit Lyonnais in Montpelier. Die Summe betrug fünfzig Pfund.«
»Und wer ist Miss Marie Devine?«
»Auch das konnte ich in Erfahrung bringen. Miss Marie Devine war die Zofe von Lady Frances
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