Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
meisten anderen Menschen. Es war äußerst wichtig, Mrs. Hudson den Eindruck zu vermitteln, ich befände mich wirklich in einer schlimmen Verfassung, da sie Sie, lieber Watson, überzeugen mußte, und Sie wiederum ihn. Sie fühlen sich doch nicht beleidigt, Watson? Sie brauchen sich nur zu vergegenwärtigen, daß neben Ihren vielen Talenten die Verstellungskunst keinen Platz gefunden hat, und so wären Sie, hätte ich mein Geheimnis mit Ihnen geteilt, nie in der Lage gewesen, Smith von der dringenden Notwendigkeit seiner Gegenwart zu überzeugen, worin der vitale Punkt des ganzen Plans bestand.«
»Aber Ihr Aussehen, Holmes, die Totenblässe Ihres Gesichts?«
»Drei Tage Fasten fördern die Schönheit nicht gerade, Watson. Ansonsten habe ich nichts, was ein Schwamm nicht heilen könnte. Mit Vaseline auf der Stirn, Belladonna in den Augen, Rouge auf den Wangenknochen und einer Kruste Bienenwachs auf den Lippen kann man eine äußerst zufriedenstellende Wirkung erzielen. Ich wollte schon immer einmal eine Schrift übers Simulieren verfassen. Hin und wieder eine Abschweifung auf Half-Crowns oder Austern oder einen anderen befremdlichen Gegenstand erzeugt den gefälligen Effekt von Fieberphantasiererei.«
»Aber warum ließen Sie es nur nicht zu, daß ich mich Ihnen näherte, da es doch in Wahrheit keine Ansteckungsgefahr gab?«
»Das fragen Sie, Watson? Denken Sie denn, ich hätte nicht Hochachtung vor Ihren medizinischen Fähigkeiten? Durfte ich mir denn einbilden, vor Ihrem Urteil als Sterbender zu bestehen, der ich, so geschwächt ich auch sein mochte, keinen erhöhten Puls und keine erhöhte Temperatur aufweisen konnte? Auf eine Entfernung von vier Yard war es möglich, Sie hinters Licht zu führen. Und wenn mir das nicht gelungen wäre, wer sonst hätte mir Smith zutreiben sollen? Nein, Watson, dieses Kästchen würde ich nicht berühren. Sie sehen, wenn Sie es von der Seite betrachten, die scharfe Spitze der Feder, die wie der Giftzahn einer Viper vorschnellt, wenn Sie den Deckel öffnen. Ich möchte behaupten, daß der arme Savage durch solch einen Trick zu Tode gekommen ist, weil er zwischen diesem Unmenschen und einer erwarteten Erbschaft stand. Wie Sie wissen, führe ich eine mannigfaltige Korrespondenz, aber ich bin auf der Hut vor jeglichen Päckchen, die mich erreichen. Mir war jedoch klar, daß ich ihn möglicherweise zu einem Geständnis verführen konnte, wenn ich mich stellte, als sei sein Anschlag wirklich gelungen. Diese Vorspiegelung habe ich mit der Gründlichkeit eines wahren Künstlers durchgespielt. Danke, Watson, jetzt müssen Sie mir in den Mantel helfen. Wenn wir auf dem Polizeirevier fertig sind, wäre, denke ich, etwas Nahrhaftes bei Simpson nicht deplaziert.«
Das Verschwinden der Lady Frances
Carfax
»Aber warum Türkisch?« fragte Sherlock Holmes, wobei er unverwandt auf meine Schuhe blickte. Ich hatte mich soeben in einen Rohrsessel gelehnt, und meine ausgestreckten Füße hatten sofort seine stets wache Aufmerksamkeit angezogen.
»Englisch«, gab ich ziemlich überrascht zur Antwort. »Ich habe sie bei Latimer in der Oxford Street gekauft.«
Holmes lächelte mit dem Ausdruck müder Nachsicht. »Das Bad!« sagte er, »das Bad! Warum das schwächende und teure Türkische Bad statt des stärkenden, das man selber zu Hause herrichtet?«
»Weil ich mich in den letzten Tagen sehr abgeschlagen fühlte und rheumatische Schmerzen hatte. Ein Türkisches Bad – man nennt es in der Medizin ein Alterativ – erfrischt von grundauf, es reinigt den Kreislauf. Und übrigens, Holmes«, setzte ich hinzu, »habe ich keinen Zweifel daran, daß die Verbindung zwischen meinen Schuhen und einem Türkischen Bad für einen logischen Verstand etwas ganz Augenfälliges ist; ich wäre Ihnen jedoch sehr verbunden, wenn Sie mir die Sache deutlicher machten.«
»Mein Gedankengang ist so dunkel nicht, Watson«, sagte Holmes und zwinkerte mir mutwillig zu. »Er gehört zu der elementaren Art von Deduktion, die ich Ihnen vor Augen stellen könnte, indem ich Sie fragte, wer heute früh mit Ihnen zusammen in der Droschke gesessen hat.«
»Ich lasse nicht zu, daß ein neues Beispiel eine Erklärung ist«, sagte ich mit gewisser Schärfe.
»Bravo, Watson! Ein sehr würdiger und logischer Einspruch. Was waren nur gleich die entscheidenden Punkte? Nehmen Sie den letzten – die Droschke. Sie bemerken, daß Sie am Mantel links, an Ärmel und Schulter, Schmutzspritzer
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