Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Hunde sind verängstigt geflohen und nicht mehr wiedergekommen. Sie waren sowieso verwildert. Die lauten Gewehrschüsse dürften sie so erschreckt haben, dass sie das Weite gesucht haben. Die Streifenbeamten, die als Erste am Tatort ankamen, und auch der Besitzer der Nachbarranch haben übereinstimmend erklärt, dass sie, nachdem die Schüsse gefallen waren, in der Ferne Hundegebell gehört hätten.«
»Und die Bilder, diese Zeichnungen an den Wänden?«
»Die Existenz der eigenartigen Zeichnungen in dieser Kapelle erklärt sich leicht durch die Menge der Drogen, die dort konsumiert wurden.«
»Aber der Rauch … in der Luft … Die atmosphärischen Änderungen.«
»Vielleicht haben sie ja irgendwas in ihrer Feuergrube verbrannt, Schwefel zum Beispiel, der solchen schmutzig gelben Rauch verursacht. Die Morde waren ja Teil eines Rituals. Aber mit dem Rauch haben wir uns nie beschäftigt. Was hätte uns
das gebracht? Es war Rauch, der von einem Feuer oder einem Schwelbrand stammte.«
»Welche Motive gab es? Für diese Selbstmorde. In diesem Ausmaß. Auf diese Weise.«
»Kaum zu glauben, was? Aber was die Motive betrifft, hatten wir mehrere Szenarios, die alle ganz gut auf diesen Fall passten. Das tatsächliche Motiv war eins von denen, die wir in Erwägung gezogen hatten, vielleicht war es auch eine Kombination aus mehreren. Aber wen konnten wir schon danach fragen? Belial war völlig unzurechnungsfähig bis zu seinem Tod, und nur eins von den Kindern, die wir dort rausholten, hat jemals wieder gesprochen, soweit ich weiß. Das Einzige, das nicht stumm war. Das ›saubere Kind‹, wie wir es nannten. Der Junge war noch nicht sehr lange in der Mine. Von Augenzeugen aus dem Umfeld des kalifornischen Anwesens der Sektenführerin wissen wir, dass sie und das ›saubere Kind‹ bis zwei Tage vor der Mordnacht die meiste Zeit zusammen dort wohnten. Sie hat den Jungen quasi adoptiert. Oder, um es korrekter auszudrücken: Ihn seiner rechtmäßigen Mutter, Priscilla, weggenommen. Auch die anderen Kinder, die wir dort fanden, waren von ihren Eltern getrennt worden. Schwester Katherine hatte dieses kranke Bedürfnis Familien, Paare, Freunde und Ähnliches auseinanderzubringen, das war in der Sekte von Anfang an Programm. Max hat uns das erzählt. Niemand in dieser Organisation durfte eine Beziehung zu einem anderen aufbauen, außer zu Schwester Katherine. Nicht mal ein kleines Baby. So brachte sie alle unter ihre Kontrolle. Teile und herrsche. Wenn du mich nicht lieben kannst, sollst du mich fürchten. Bekanntes Schema.
Deshalb gingen wir davon aus, dass Schwester Katherine und ihre fröhliche Truppe sich gegenseitig umgebracht haben. Entweder aufgrund von internen Rivalitäten, Drogenpsychosen oder einem Selbstmordpakt. Wahrscheinlich von allen dreien etwas, wenn Sie mich fragen. Die Zeitungen beschrieben es als ein satanisches
Ritual, bei dem es an einem kritischen Punkt zu Menschenopfern kam. Das Gleiche wurde ja von den Manson-Morden behauptet. Das waren noch andere Zeiten damals. Alles hat sich zum Schlechten hin verändert, aber damals war der größte Teil des Landes noch viel unschuldiger als heute. Ein Journalist behauptete, es sei ›ein Konkurrenzkampf unter Führungsfiguren‹ gewesen.«
Sweeney hob ratlos seine unglaublich breiten Schultern.
»Könnte sein. Das Einzige, wofür wir dankbar sein können, ist, dass sie noch genug menschliches Mitgefühl in sich hatten, um die Kinder am Leben zu lassen. Sie sind allesamt in der Psychiatrie gelandet. Die waren völlig durch den Wind. Vier von denen konnten noch nicht mal sprechen.«
»Damit bleibt mir und allen anderen, die sich mit dem Fall beschäftigt haben, nur noch ein letztes Rätsel.«
»Ich wette, ich weiß, was Sie mich jetzt fragen wollen.«
Kyle gelang ein Lächeln, aber er sagte nichts.
»Fußabdrücke?«
Kyle nickte nur. Wenn er gesprochen hätte, das wusste er, hätte seine Stimme heiser und zittrig geklungen.
Sweeney zwinkerte ihm zu. »Soweit es mich betrifft, ist das einer von nur zwei Aspekten dieses Falls, die wir nicht zufriedenstellend aufklären konnten. Fünfzehn Jahre später habe ich mich mit dem Fall noch mal befasst. Bei der Staatsanwaltschaft in Phoenix gibt es einen ganzen Raum für die Akten des Mordfalls in der Blue-Oak-Kupfermine. Ich brauchte ein Jahr lang, um mich da durchzuarbeiten. Aber ich habe keine Erklärung für die Fußabdrücke. Wir fanden sie an zwei Stellen am Tatort. Jeweils da, wo die Opfer sich befanden.
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